Kater mit Karma
Schriftstellerin darf ein Hochzeitskleid in dem Schrank in ihrem Arbeitszimmer aufbewahren. Ich fühlte mich geehrt, dass Chantelle es mir anvertraute, obwohl ein Abendkleidfetischist im Katzenfell bei uns hauste.
Jeden Tag, wenn ich Jonah aus dem Arbeitszimmer ausgesperrt hatte, öffnete ich den Schrank und warf einen andächtigen Blick auf das Kleid. Ein, zwei Mal widersetzte ich mich meiner eigenen Anweisung und öffnete den Reißverschluss, um es wie einen Schmetterling in seinem Kokon zu bewundern.
Das Hochzeitskleid, Symbol der Liebe und Hoffnung, schimmerte voller Vorfreude. Es kam mir vor wie ein Glücksbringer. Erst recht, als eine E-Mail von Louise von Allen and Unwin eintraf, in der sie ihre Begeisterung für Cleo zum Ausdruck brachte. Wobei ich natürlich annahm, dass Louise höflich sein und meinem empfindlichen Autoren-Ego schmeicheln wollte. Jude, die Cleo lektorieren sollte, schickte eine ähnlich lautende E-Mail – und der Verdacht verflüchtigte sich. Vielleicht war das Buch ja doch nicht so schlecht.
Als mir Jude fünfzehn Seiten mit Änderungsvorschlägen schickte, zogen sich meine Herzmuskeln zusammen. Aber als mir klar wurde, mit wie viel Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl sie den Text durchgegangen war, war ich mehr als bereit, ihre Anweisungen zu befolgen. Ich sollte mich auf die emotionalen Abgründe einlassen, meinte sie, die ich erst kürzlich aus meiner ersten Version von Cleo getilgt hatte.
Bei der Überarbeitung durchlebte ich noch einmal die Tage nach Sams Tod und war überrascht, an wie viele Einzelheiten ich mich erinnerte. Aber erinnerter Schmerz ist nicht so schlimm wie unmittelbar erfahrener.
Ich hoffte, damit Eltern erreichen zu können, die einen ähnlichen Verlust erlitten hatten – und dass Cleo nicht nur in Neuseeland ein paar Leser fand, sondern auch in Australien.
Mit Näherrücken des Hochzeitstermins verwandelte sich das Haus in einen Bienenstock. Jeder Anruf und jedes verfrühte Hochzeitsgeschenk, das vor unserer Haustür abgestellt wurde, vergrößerte die Vorfreude. Die Tatsache, dass ich vor sechs Monaten noch Angst gehabt hatte, diesen Tag vielleicht gar nicht mehr miterleben zu dürfen, machte alles noch schöner. Dennoch musste ich vorsichtig sein. Ich fühlte mich zwar schon stärker, war aber noch längst nicht wiederhergestellt. Immer wenn ich mir zu viel abverlangte, büßte ich das mit schrecklicher Erschöpfung. Frustriert brach ich manchmal in Tränen aus und zweifelte daran, jemals wieder ganz zu Kräften zu kommen. In solchen Momenten stellten sich zerstörerische Gedanken ein. Was, wenn diese Erschöpfung nicht normal war und der Krebs immer noch in mir wütete?
Ich konnte kaum glauben, dass Rob bald heiraten würde. Ich sah in ihm immer noch den Sechsjährigen, der mit Cleo Verstecken spielte, oder den kleinen Seepfadfinder, der liebend gerne segelte. Dann war da der Vierzehnjährige, der in seiner blauen Schuluniform und einer Wolke aus Testosteron nach Hause gestapft kam. Wir waren alle begeistert gewesen, als der Junge, der unter »Lernschwierigkeiten« gelitten hatte, ein Stipendium für sein Ingenieursstudium bekam. Und am Boden zerstört, als er mit neunzehn schwer erkrankte.
Rob und ich hatten so vieles gemeinsam durchgestanden. Als ich ihn an dem Tag, an dem Cleo starb, anrief, hatte er geseufzt und gesagt: »Das war unsere letzte Verbindung zu Sam.« Unsere Trauer würde immer ein unsichtbares Band zwischen uns sein. Immer noch sehen wir uns, wenn wir eine ruhige Minute zu zweit haben, alte Fotos an und sprechen über Sam.
Rob sagt immer, dass man die guten Zeiten erst richtig zu schätzen weiß, wenn man schlechte durchlebt hat. Und tatsächlich, wenn ich an die Ungewissheit und die Schmerzen der letzten Monate zurückdachte, dann waren mir diese Tage vor der Hochzeit umso wertvoller.
In stilleren, düstereren Momenten googelte ich nach den neuesten Nachrichten aus Sri Lanka. Einen Monat vor Robs Hochzeit hatte ein Selbstmordanschlag in Anuradhapura siebenundzwanzig Menschen das Leben gekostet, unter anderem einem ehemaligen General. Lydia behauptete zwar, das Kloster läge in sicherer Entfernung von solchen Greueln, aber damit konnte sie mein mütterliches Herz nicht beruhigen.
In zwei Wochen würde die Hochzeit stattfinden und wir bereiteten uns auf die ersten Gäste vor. Den wichtigsten Hochzeitsgast erwarteten wir zuerst. Als ich am Flughafen anrief, erklärte eine Automatenstimme, die Landung erfolge zehn Minuten früher
Weitere Kostenlose Bücher