Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kater mit Karma

Kater mit Karma

Titel: Kater mit Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Brown
Vom Netzwerk:
Regelmäßig hielt ihr Bus vor unserem Haus. Eines Tages rief sie mich nach draußen, um mir ein paar halbwüchsige Jungen vorzustellen. Ich machte mich auf eine geballte Ladung Testosteron gefasst und folgte ihr zum Bus, wo sie die Tür aufschob. Auf den Sitzen schwankten drei magere Gestalten wie Schilfgras hin und her, die Münder offen, die Finger zu Krallen gekrümmt.
    »Sagt Hallo zu meiner Mutter«, sagte sie in einem Ton, als spräche sie mit ihren Freunden. Einer der Jungen schaukelte daraufhin heftig vor und zurück. Ein anderer rollte mit den Augen. Ich fühlte, wie stolz ich auf Lydia war.
    Als ich sie fragte, wie sie diese Arbeit bewältigte, erwiderte sie, ihre Schützlinge würden ihr zeigen, wie man leben sollte. Sie versanken nicht in Selbstmitleid und lebten ganz und gar in der Gegenwart. Nicht damit belastet, einen bestimmten Eindruck aufrechterhalten zu müssen und sich Sorgen um die Zukunft zu machen, konnten sie einfach sie selbst sein. In ihrer Gesellschaft war sie glücklich – auch wenn ihr vom Heben manchmal der Rücken weh tat. Es machte ihr nichts aus, Spucke wegzuwischen oder jemanden über eine Sonde zu füttern, nur Windeln wechseln fand sie nicht so toll.
    Je mehr meine vegetarische, meditierende, fürsorgliche Tochter zur Heiligen wurde, desto unzulänglicher und egoistischer kam ich mir vor. Wenn sie mit uns am Tisch saß und die Sauce Bolognese (Spuren von Fleisch) zugunsten von Nudeln und Salat mied, war die Angespanntheit auf beiden Seiten des Tischs manchmal mit Händen zu greifen.
    Philip und ich fühlten uns kritisiert, weil wir unser Haus nicht verkauften und den Erlös einem afrikanischen Dorf spendeten. Philip rutschte auf seinem Stuhl herum, wenn Lydia sagte, vielleicht fände er in seinem Beruf mehr Befriedigung, wenn er für eine Non-Profit-Organisation arbeiten würde. Mir bereitete es in gleicher Weise Unbehagen, wenn Andeutungen fielen, dass ich mehr gemeinnützige Arbeit leisten könnte.
    Natürlich betrachteten wir auch sie mit kritischen Augen. Manchmal fanden wir, sie stelle sich selbst auf ein Podest unantastbarer Reinheit. Dann wieder schienen Lydia und ich uns ein Schachduell zu liefern – bei dem sie mir drei Züge voraus war. Ihre Selbstlosigkeit machte sie unempfindlich für Kritik. Ihre Ideale waren unangreifbar. Die Arbeit, die sie leistete, war von unschätzbarem Wert, unterbezahlt und von der Gesellschaft viel zu wenig gewürdigt.
    Und dennoch fragte ich mich hin und wieder in düsteren Momenten – und das wirft ein derart schlechtes Licht auf mich, dass ich zögere, es niederzuschreiben –, wenn ich beobachtete, wie sie ihren an den Rollstuhl gefesselten Schützlingen den Mund abwischte, sie herumfuhr, trug und mit ihnen redete, ob es ihr vielleicht ein Gefühl von Macht verschaffte, sich um die Schwachen zu kümmern.
    »Und, wo wollen wir heute hin?«, fragte sie munter, wohl wissend, dass die Mehrzahl der unglücklichen Geschöpfe in ihrer Obhut nicht antworten konnte. »Ich kenne da einen Laden, in dem sie die besten Muffins im ganzen Land verkaufen. Es sind nur zwei Stunden Fahrt. Also, los geht’s!«
    Ihre behinderten Schützlinge waren nicht in der Lage zu protestieren. Sie mussten es hinnehmen, in den Bus verfrachtet und herumgekarrt zu werden. Aber durfte ich mir ein Urteil darüber erlauben? Wenn die einzige Alternative darin bestand, dass sie den ganzen Tag in irgendeiner Einrichtung vor dem Fernseher saßen, war eine Muffin-Odyssee geradezu fantastisch.
    Einige von Lydias Schützlingen gingen mir auf die Nerven, aber ihr Mut und, in manchen Fällen, ihre Lebenslust waren ein Vorbild. Im Vergleich mit ihnen kam es mir albern vor, mir Gedanken über Kurzatmigkeit zu machen und darüber, ob irgendwo in meinem spätmittelalterlichen Körper noch Krebszellen lauerten. Sie waren Superhelden auf Rädern. Wenn ich Lydias jüngere Schützlinge sah, empfand ich tiefes Mitgefühl für deren Eltern.
    Gleichwohl ärgerte ich mich manchmal über die Art, wie mich Lydia für ihre gute Taten einspannte. An einem glühend heißen Samstag zwei Wochen nach Robs Hochzeit fragte sie, ob sie mit einer Gruppe älterer Behinderter zum Tee kommen dürfe.
    »Wie viele?«, fragte ich.
    »Fünf oder sechs. Wir bringen Essen und Getränke mit, mach dir also keine Umstände«, sagte sie fröhlich. »Wir können auch in einen Park gehen und dort Picknick machen, wenn du keine Zeit hast«, fügte sie hinzu, als sie mein Zögern bemerkte.
    Im Freien zu essen kam bei

Weitere Kostenlose Bücher