Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
fragte sich, was die Schneiderpuppe wohl im Moment trug. Ob sie nackt war, oder ob Nico ihr ihren Morgenmantel übergezogen hatte, damit sie nicht fror, während das schwarze Kleid, zusammen mit all den anderen Sachen, wieder zu einem Ganzen zusammenwuchs.
Zu diesem Zweck hatte Liebermann eine leere Bananenkiste auf den Tisch gestellt und die Ankömmlinge gebeten, das entsprechende Teil hineinzulegen, ehe sie sich setzten. Außer der alten Krebs waren inzwischen alle da.
»Sie hat’s vergessen«, sagte Tante Lehmann, die sich nicht entschließen konnte, ihren vertrauten Platz hinter der Theke aufzugeben. »Michael!«
Der Lehrling kam hereingeschlurft.
»Geh und hol Frau Krebs!«
Verdutzt sah Michael sie an.
»Und achte drauf, dass sie ihre Geldbörse mitnimmt«, fügte Tante Lehmann hinzu. »Dann kann sie gleich ihre Schulden begleichen.«
»Und ihre goldene Tasche«, ergänzte Liebermann. Er fühlte den eisigen Hauch, der von allen Seiten kam.
Da saßen sie, unterschiedlich wie nur irgendetwas: Ein Kneipier und seine Angestellte, eine quasi bankrotte Ladeninhaberin, ein Vierlingsvater, eine Hebamme, ein Hausmeister, ein Restaurator, eine Studentin und ein Kroate, der seiner Familie ein wenig Taschengeld dazuverdiente, indem er Schrott sammelte und Getränke ausfuhr, und endlich auch die alte Krebs, die eben in Michaels Begleitung durch die Tür kam. Ein wenig dement vielleicht, aber dennoch mitten im Geschehen. Eine ihrer knorrigen Fäuste umklammerte die Tasche.
»Gibt’s was zu feiern?«
Nils grinste dunkel. »Zu feiern gibt’s immer was. Setz dich.«
Die Krebs blieb stehen. »Seit wann duzen wir uns?«
»2005, das Toilettenfenster«, erinnerte Nils sie.
Die Alte schob die daunenartigen Brauen zusammen und beschloss, das Thema ruhen zu lassen. Sie orderte einen Stuhl. Als Michael ihr einen gebracht hatte, lächelte Tante Lehmann ihm zu. »Feierabend.«
»Aber der Tisch und die Bänke!«, sagte er hoffnungsvoll.
»Das machen wir, bevor wir gehen.«
Michael sah sie flehend an. Doch Tante Lehmann blieb hart. »Ich hab deiner Mutter versprochen, dich nach Hause zu schicken, wenn ich dich sehe.«
Als der Lehrling zur Tür hinausgeschlichen war, kam sie endlich hinter der Theke hervor, um sich neben Laura zu setzen.
»Der Junge bricht mir noch das Herz. Was mach ich nur mit ihm? Ich kann ihn doch nicht hier wohnen lassen, selbst wenn ... Immerhin sind es doch seine Eltern!«
Liebermanns Finger spielten schon seit einer Weile Walzer auf der Tischplatte.
Er sah traurig auf seine Bekannten, die beinahe zu Freunden geworden wären. Am längsten ruhte sein Blick auf Nico, die den Kopf gesenkt hielt und zerstreut mit einer Erdnuss spielte. Unterhalb seiner Rippen begann etwas zu beißen. Besser, er brachte es hinter sich. »Schön, dass ihr da seid.«
»Klingt wie der Auftakt einer Vereinssitzung«, sagte Nils grinsend.
Liebermann lächelte trübe. »Vielleicht ist es das ja. Ein Verein zur Bewahrung eines Geheimnisses.«
»Was?« Die alte Krebs stellte Lauras Glas auf den Tisch zurück. »Ich war noch nie in einem Verein. Ich lasse mir nichts anhängen!«
Tante Lehmann tätschelte ihren Arm. »Ich hol dir einen Holunder.«
»Also dann«, sagte Liebermann, als sie wieder saß. »In den Briefen, die ich euch gebracht habe, stand, außer Uhrzeit und Ort, nur, was ihr mitbringen sollt und dass es die Möglichkeit gibt die sehr eventuelle Möglichkeit -, einer amtlichen Vorladung zu entgehen. Niemand hat mich gefragt, was das soll. Ihr seid einfach gekommen, und zwar alle. Ich frage mich, warum.«
Er stand auf und legte die Sachen aus der Kiste auf den Tisch. Zuerst das Kleid, Estrellas Ohrringe zu beiden Seiten darüber, links die Uhr, rechts die Digitalkamera und das Notizbuch.
»Hilfe!«, kreischte die Krebs, als er ihr unter gemurmelten Worten der Entschuldigung die Handtasche entwinden wollte. Mit der freien Hand begann sie, auf Liebermanns Arm einzuprügeln.
»Lassen wir die Tasche. Wir wissen, dass sie dazugehört. Und nun seht euch an, was bei meinem Puzzle herausgekommen ist.«
Nils grinste noch immer, aber Nico und Estrella waren blass geworden. Die Männer sahen an ihm vorbei, bis auf Goran, der ihn anstarrte, als sei er der Leibhaftige persönlich. Die alte Krebs umklammerte ihre Tasche. Tante Lehmanns Blick hing niedergeschlagen an der Stelle, an der sich vor einigen Stunden noch ihre Armbanduhr befunden hatte.
»Ich erzähle euch eine kleine Geschichte«, sagte Liebermann. »Es
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