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Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold

Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold

Titel: Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Anlauff
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beruhigte sich, indem er die Schuhe des Fremden studierte. Schuhe waren neutral, sie ließen sich nicht reizen wie ihre Träger. Diese hier waren steife, braune Treter mit ausgefransten Schnürsenkeln. Er kannte sie schon, sie hatten vor zwei Abenden unter einem Tisch in der Bar von Aurelias Besitzerin gestanden. Robust und harmlos. Trotzdem konnte Serrano nicht vermeiden, dass sich sein Ohr unruhig bewegte.
    Mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination sah Liebermann auf die Stelle nieder, an der einmal das zweite Ohr der Katze gesessen hatte. Sie erinnerte ihn an den alten Brunnen, den es früher im Garten seiner Großeltern gegeben hatte. Hohes, verblichenes Gras, unter dem die dunkle Öffnung und die kläglichen Reste der ehemaligen Einfassungsmauer mehr zu ahnen als zu erkennen gewesen waren.
    Jeden Sommer hatte der Brunnen Liebermanns Phantasie neues Futter gegeben. So wie jetzt dieses Ohr. Oder besser, das fehlende Ohr. Es schien zu den Eigentümlichkeiten des Viertels zu zählen, dachte er plötzlich, dass Dinge und Lebewesen verschwanden. Ohren, Mützenstummel, Planen und Frauen. Liebermann war versucht, seinen Block aus der Tasche zu ziehen, ließ es aber, als Miri durch den Sand zu ihm gestapft kam.
    »Das ist Serrano«, sagte sie, als stelle sie einen alten Bekannten vor.
    »Ich weiß.« Liebermann erwartete, dass sie sich zu dem Tier hinunterbeugen würde, um es zu streicheln, wie sie es vor zwei Tagen bei diesem anderen Kater wie hieß er noch, Cäsar? getan hatte. Aber sie blieb stehen. Vielleicht war ihre lyrische Ader für Brunnen noch nicht aus gereift. »Was ist mit seinem Ohr passiert?«
    »Der Hund von Reiner hat es abgebissen.«
    »Reiner?«
    »Der Gitarrenmann, der immer auf der Einkaufsstraße singt. Aber ich mag ihn nicht. Er redet komisch, und Mama sagt, er stinkt.«
    Liebermann erinnerte sich. Tante Lehmanns Laden: Bier, Jimi Hendrix, der Geist der Musik, Reiner. Er stank? Vermutlich hatte Thekla gemeint, dass er trank.
    »Serrano geht bestimmt zu Aurelia«, sagte Miri. »Das ist seine Freundin. Wenn sie Babys bekommt, darf ich vielleicht eins haben.«
    »So«, machte Liebermann. »Dann lass uns hoffen, dass Aurelias Kinder mehr als ein Ohr abbekommen. Ein schöner Name, immerhin«, fügte er hinzu, als sich Miris Gesicht verfinsterte. »Aurelia bedeutet: die Goldene. Weißt du, dass die Mutter von Cäsar Aurelia hieß?«
    Miri runzelte die Stirn. »Aurelia ist nicht Cäsars Mutter.«
    »Aber sicher. Mein Kollege hat’s mir erzählt, und der kennt sich aus.«
    »Stimmt aber nicht. Cäsars Mutter ist überfahren worden.«
    Liebermann stutzte kurz, dann begriff er. »Ach so, nein: Ich meine einen Kaiser, keine Katze. Ist auch egal, wir müssen los. Viel Glück, du Streuner«, sagte er zu dem Kater, der ihrem Wortwechsel aufmerksam zugehört hatte. Wer weiß, dachte er, als sie weitergingen: Vielleicht verfügt die Welt der Katzen über Strukturen, die den unseren gar nicht so unähnlich sind.
    Der mollige Cäsar aus dem Busch hatte durchaus das Zeug zu einem Kaiser. Oder auch der Einohrige. Liebermann warf einen raschen Blick über die Schulter und sah, dass Serrano sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt hatte. Der Kater starrte ihm nach. Und plötzlich war Liebermann davon überzeugt, dass er es auf ihn abgesehen hatte.
    Erst im Quietschen des Kindergartentors löste sich der Spuk auf. Im nächsten Moment wurde er durch einen leichten, aber angenehmen Schrecken ersetzt, als Nicos Stimme hinter ihm sagte: »Dein Hörvermögen scheint völlig im Keller zu sein. Ich habe schon zweimal gerufen, aber du reagierst nicht.«
    »Ich habe geträumt.« Und tu’s vielleicht immer noch, dachte Liebermann. Wieso sah sie auf einmal auch golden aus? Ach ja, die Sonne in ihrem Rücken.
    »So, so, ein Tagträumer«, sagte Nico lächelnd. »Trinkt der Kaffee?«
    Als auch das letzte Geruchsmolekül des Fremden verweht war, stand Serrano auf. Er hatte genau vier Worte verstanden. Namen, genau genommen. Aurelia, Streuner und Cäsar. Cäsar. Nie hätte Serrano vermutet, dass der Name seines Sohnes ihn einmal so treffen würde. Aber es war eine Tatsache, dass er Cäsar seit jenem denkwürdigen Kampf nicht mehr gesehen hatte. Bei Streuner war es noch länger her, und Aurelia ... Auch sein eigener Name war gefallen. Das Mädchen hatte ihn genannt, vermutlich, um ihn dem Fremden vorzustellen.
    Das Mädchen wohnte schon so lange hier wie Aurelia und war darüber hinaus mit der Tochter der Heringsfrau

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