Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
wurde.
Auf der Terrasse seiner Doppelhaushälfte gönnte Uwe sich einen Schuss Nasenspray und erschlug mit der Linken gleichzeitig eine Mücke, die sich auf dem blanken Streifen zwischen Hosensaum und Socke niedergelassen hatte. Er pickte sie mit zwei Fingern auf und hielt sie ins Licht. Erstens, um sie zu betrachten, zweitens als Warnung für andere Blutsauger. Aber als sie da kopfüber hing, die zuckenden Beine im stummen Echo des Todeskampfes, tat sie ihm leid. Nein, er ekelte sich, vor dem Insekt und vor sich selbst. Denn er wusste, dass er mit der nächsten und übernächsten Mücke nicht anders verfahren würde, und falls es eine der Kröten aus dem nahe gelegenen Weiher wagen sollte wehe ihr! An Abenden wie diesem bereute er, in das Haus seiner Mutter gezogen zu sein. Er neidete ihr das antibakterielle Zimmer, in dem er sie vor zwei Jahren abgesetzt hatte und in dem sie sich aus Gründen, die ihm schleierhaft waren, nicht wohl fühlte. Er hatte das zweitbeste Heim des Stadtbezirks für sie ausgesucht, eines, in das sich mit Sicherheit nie eine Mücke verirrte.
Uwe kratzte missmutig den Stich. Für ihre Henkersmahlzeit hatte die Mücke noch gesorgt. Dann schlug er die Époque auf. Wie gehabt: Werbung, Mode, schöne Gesichter, ewig lange Beiträge über die Weiße Wüste und ein neues Medikament gegen Hautkrebs, die einigermaßen interessant zu sein schienen, endlich Kultur. Und mitten darin, der Name, den er suchte.
Die Zeitung hatte schon in seiner Tasche gesteckt, als Marion ihm Bescheid gegeben hatte. Es sah aus, als hätte Liebermann recht, etwas, das Uwe beinahe noch mehr störte als die Insekten und Unken in seinem Garten. Das einzige Gegengewicht zu seinem eigenen Unmut war der seiner Kollegin. Vermutlich hatte Berlich sie am Telefon um den Finger gewickelt. Uwe stellte sich Marions Gesicht bei der Nachricht vor, dass der Kritiker die Festveranstaltung in Rheinsberg mit einer Frau vorzeitig verlassen hatte, nicht in Richtung Hotel, sondern ... Schon etwas besser gelaunt vertiefte Uwe sich in Berlichs Artikel.
Er beschäftigte sich mit einer jungen Künstlerin namens Selma Balthasar. Berlich schien große Stücke auf sie zu halten. Er nannte sie hoffnungsvoll, lobte ihren Strich, die Plastizität der Objekte, derer sie sich annahm, ebenso wie die mutige Themenwahl.
In der Tat mutig, dachte Uwe mit Blick auf das beigefügte Bildbeispiel. Es erinnerte an einen aus der Form geratenen Blutegel auf einem Goldteller. Der Artikel endete mit der Ankündigung einer Vernissage für den 29. 05., 19 Uhr, in der Uwe trank in Zeitlupe einen Schluck Wasser Galerie Olbinghaus, Fasanenstraße 12.
In seinem Kopf geriet einiges durcheinander.
Hans Olbinghaus und Stefan Berlich. Der Galerist und der Kritiker. Vielleicht war es reiner Zufall, dass Stefan Berlich die Ankündigung weitergab, weil seine Redaktion sie eben hereinbekommen hatte. Und er hatte die Gelegenheit zum Anlass genommen, eine künstlerische Neuentdeckung zu protegieren. Aber jetzt, wo er darauf gestoßen war, schien es Uwe mehr als unwahrscheinlich, dass diese beiden Größen der Berliner Kunstszene sich in ihrem begrenzten Universum nie über den Weg gelaufen sein sollten. Berlich und Olbinghaus mussten sich kennen. Darauf hätte er schon in Gegenwart Mademoiselle Evas kommen müssen. Ein peinliches Versäumnis. Das er nun mit einem Tag Verspätung ausglich.
Uwe lehnte sich zurück. Frösche quakten aus dem geschmacklosen Zierteich seines Nachbarn herüber. Fingen jeden Abend um dieselbe Zeit an, unabhängig vom Wetter, das war doch nicht normal. Während Uwe das Leben einer weiteren Mücke abkürzte, überlegte er, ob der Galerist Hans Olbinghaus darüber im Bilde war, dass Stefan Berlich auch seine Frau gekannt hatte. Und wie gut.
Mittwoch
Liebermann warf Brötchen in den Backofen und ging ins Wohnzimmer, um seine Morgengymnastik zu absolvieren. Langsam begann er sich wieder wie ein Mensch zu fühlen. Heute früh war er beim ersten Anlauf aus dem Bett gekommen. Das weit geöffnete Küchenfenster ließ laue, nahezu benzinfreie Luft herein, der Mai spielte Hochsommer, und im Bad sang Miri ein Lied über einen größenwahnsinnigen Hahn. Es war fast alles in Ordnung.
Nach dem Sport befreite Liebermann seine Pinnwand von »Nicos Nasenblut «-Zettel und dem, der sich mit der Herkunft von Goran dem Getränkelieferanten beschäftigte, überflog die anderen und kehrte in die Küche zurück. Am Tisch saß seine Tochter mit Zahnpastarändern um den Mund.
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