Katerstimmung (German Edition)
in den Gang und leide. Die adretten Geschäftsleute nerven. Die kreischenden Kinder nerven. Und vor allem nervt die blöde Computerstimme der Kölner Verkehrsbetriebe, die so schlecht betont, dass sogar HAL 9000 aus 2001 – Odyssee im Weltraum das rote Kameraauge verdreht hätte.
«Diese FAHRT endet DORT. WIR möchten SIE bitten, DORT auszusteigen», krächzt es aus den Lautsprechern.
Endlich. Es ist inzwischen so heiß in der überfüllten Bahn, dass ich spüre, wie eine Schweiß-Sahne-Suppe langsam meinen Oberkörper abwärts fließt. Ich muss stinken wie ein Iltis. Als mir auch von der Stirn dicke Tropfen in die Augen zu laufen drohen, kann ich nicht anders und wische mir kurz mit dem T-Shirt mein Gesicht ab. Noch im gleichen Moment wird mir klar, dass das keine gute Idee war. Bitte lass Sandra das nicht gesehen haben, denke ich, und schaue verschämt über die Schulter. Sie schenkt mir einen Blick, der mir von unserer gestrigen Begegnung noch bestens bekannt ist. Genauer gesagt starrt sie mir auf den unteren Rücken, der eben durch meine ungeschickte T-Shirt-Aktion für eine Sekunde lang unbedeckt war. Also fast. Bis auf den BH, den ich trage. Ich könnte bei unserer nächsten Begegnung mit vier Frauen im Arm erscheinen – keinen Ohrring würde die mehr auf meine Heterosexualität verwetten.
Irgendwie krieche ich zum nächsten Kiosk, wo ich «Wasser, bitte, Wasser» flehe, als hätte ich die Rallye Paris–Dakar auf dem Fahrrad hinter mir. Als ich bezahlen möchte und in meine Hosentasche greife, finde ich neben meinem Portemonnaie einen kleinen Zettel. «W84U Ana.» Was immer das bedeuten soll, Ana war keine Fata Morgana. Ich kippe mir 1,5 Liter Wasser in den Rachen, schleppe mich die letzten Meter zu meiner Wohnung und lege mich aufs Bett.
Wie viel Uhr ist es eigentlich? Ich drücke mich in den Videotext und stolpere über eine TED-Umfrage zum Thema «Sollte Mallorca deutsches Bundesland werden?». 1,4 Prozent, was freundlicherweise direkt als sieben Menschen übersetzt wird, sagen: «Weiß nicht.» Das ist natürlich nicht viel, aber trotzdem komisch. Sieben Menschen in Deutschland zahlen 25 Cent, um SAT.1 mitzuteilen, dass sie zu diesem Thema keine Meinung haben. Und sie können weder was gewinnen, noch ist das Geld für Afrika. Was machen solche Leute sonst noch? Gehen die auch zu McDonald’s und sagen: «Also heute nehme ich nichts, ich mache mir gleich ein Butterbrot zu Hause»?
Mist, jetzt habe ich Hunger bekommen. Ich bin völlig verschwitzt, mir ist schlecht, ich habe Kopfweh, und auch sonst tut mir alles weh. Aber ich bin unendlich zufrieden. Ich hatte wilde Fessel-Sahne-Spiele mit der schönsten Frau, die unsere Erde je besucht hat. Plötzlich habe ich Lust auf Reis.
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W84U
Als ich zwei Stunden später zum zweiten Mal an diesem Tag aufwache, ist mein erster Gedanke erneut «Ana». Was hat die Frau nur mit mir angestellt? Und ich meine jetzt nicht nur die etwas außergewöhnliche Nachtgestaltung. Mein Arbeitsspeicher scheint seit zwölf Stunden zur Hälfte mit dem Prozess «An Ana denken» ausgelastet zu sein. Und auch beim zweiten Neustart wurde dieser wieder automatisch und vor allen anderen Systemstartelementen ausgeführt. Ich muss die wiedersehen.
In der Hoffnung, dass sie mir vielleicht ihre Nummer gegeben hat, drücke ich die Telefonbuch-Taste meines Handys. Dort werde ich jedoch freundlich darauf hingewiesen, dass «keine Einträge vorhanden» sind. Stimmt ja. Ich habe nicht nur Anas Nummer nicht, ich habe gar keine mehr. Dann kann ich jetzt nicht mal mit der Zeugenbefragung beginnen, denn auswendig weiß ich nur die Nummer meiner Eltern. Die können hoffentlich keine sachdienlichen Hinweise zum Thema Fesselsex geben.
So muss eben das bisher einzige Indiz genauer unter die Lupe genommen werden. W84U Ana. W84U. Eine Koordinatenangabe auf dem Kölner Stadtplan? Ein Geheimcode? Ich hätte gerade gerne eines dieser FBI-Profilerteams um mich, die in amerikanischen Krimiserien in 60 Sekunden Schlagabtausch ohne Pause Ideen entwickeln wie Sherlock Holmes auf Koks.
Chefermittler: «Es wurde ein Zettel in der Hosentasche gefunden mit der Aufschrift W84U.»
Superbrain (durch Brille oder Pullunder als Freak stigmatisiert): «Das W entstand im Mittelalter ursprünglich als Ligatur.»
Quotenschwarzer (verantwortlich für flotte Sprüche und ergänzende Einwürfe): «Und zwar als Verdopplung des U.»
Superbrain: «Genau. Und ebenso, wie das W ein verdoppeltes U
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