Katerstimmung (German Edition)
gesucht hat. Dass er sich irgendwann nicht mehr bewegen konnte, wie am Bettlaken erkennbar auch noch zu bluten begann und den Notarzt rufen musste. Nachdem er sein Testament in einer maledivischen Zeichensprache an die Wand geschrieben hat.
«Der Arzt meinte, ich müsste euch wegen unterlassener Hilfeleistung eigentlich bei der Polizei anzeigen. Aber ich denke, ich lass das. Ihr habt die Situation ja nicht absichtlich so gnadenlos unterschätzt. Und ihr musstet das Zimmer aufräumen. Sind dann wohl quitt. Bis bald mal, ciao! PS: Würd heute nicht in den Hotelpool gehen.» Eoeoeo.
Die engen Gassen Buñols sind dermaßen übervölkert, dass wir so schnell vorankommen wie Reformen in China. Leider kann man sich nur in Deutschland mit «Lassen Sie mich durch, ich bin vom Privatfernsehen» durchs Volk schieben.
Wenn das Wort wegen unseres minimalen Tempos nicht so unangebracht wäre, könnte man gut von einem Marsch sprechen. Die kampfeslustigen Gesichter der Tomatenkrieger und die begleitende Humtata-Musik verleihen der Veranstaltung fast schon etwas Militärisches. Gerade in unseren Zeiten von Partnerstädten und Atomwaffensperrverträgen muss man seine Aggressionen ja irgendwo rauslassen. Man kann nicht mehr einfach dem Höhlennachbarn die Keule auf den Kopf hauen oder Polen überfallen. Deswegen rennen ja auch alle in Fitnessstudios und Fußballstadien. Prophylaktisch. Schön dem Lehrer der Kinder, dem Neuen der Ex oder der Mutter der Frau eine Tomate in die Visage pfeffern, und alles ist wieder gut. Wilhelm bestätigt, dass er das in einem Seminar über Friedenspädagogik auch mal so ähnlich gehört hat.
Wir ziehen mit der Truppe immer den Ohren nach in den Tomatenkrieg. Bislang scheint der noch nicht ausgebrochen zu sein. Denn selbst am zentralen Plaza del Pueblo werden die Tomaten noch nicht zu Granaten umfunktioniert – der Verkauf von Taucherbrillen verrät jedoch, dass sich das bald ändern wird. Stattdessen konzentrieren sich alle Blicke auf einen Mast, an dessen Spitze ein Schinken angebracht ist. Eine Horde junger Männer versucht ihn verzweifelt zu erklimmen, was jedoch daran scheitert, dass der Mast offensichtlich mit Seife eingeschmiert wurde. Der Anblick steht für mich in einer Reihe mit dem Robbenschlachten in Kanada und Modern-Talking-Konzerten. Anblicke, bei denen man nur hofft: Liebe Außerirdische, bitte schaut nicht gerade heute vorbei, wenn ihr etwas über uns Menschen lernen wollt – wir sind eigentlich nicht so!
Ich höre, wie ein dickbäuchiger, bleicher Mann, der mit Ausnahme einer Australienflagge um die Hüften kleidungsfrei ist, «Starts in a few moments» lallt. Bis dann sollten wir den Übertragungswagen von Telecinco gefunden haben.
Ich bin nur froh, in dem Chaos nicht nach Ana Ausschau halten zu müssen. Denn die wartet ja in Barcelona. Endlich kann ich mal mit dem sehnsüchtigen Durch-die-Menschen-hindurch-in-die-Ferne-Blicken pausieren. Damit war ich seit gestern Nachmittag auf der Suche nach Ana nämlich ununterbrochen beschäftigt.
Als ich plötzlich einen Kanonenschuss höre, sehe ich einen riesigen Laster, der sich im Schritttempo durch eine der engen Straßen presst. Von der Ladefläche aus bombardieren kräftige Männer die johlende Masse mit Tomaten. Das war wohl der Startschuss.
Wir brauchen dringend eine Exit-Strategie aus dem Kessel von Buñol, schließlich sind wir nicht zum Spaß hier. Ich schicke Wilhelm zu einem Ordner mit orangefarbener Warnweste, damit er den Weg zum Pressegelände erfragt. Der feuert ihm im Gegenzug aber nur eine Tomate vor den Latz. Als noch weitere werfend hinzueilen, wundere ich mich zunächst über die Selbstauffassung der spanischen Sicherheitskräfte. Dann höre ich, dass die vermeintlichen Ordnungshüter Englisch sprechen, und sehe, dass auf den Warnwesten Stag Party Bryan: Cancun – Buñol – Munich steht.
Kurz darauf läuft uns ein Polizist über den Weg; und nachdem wir nach ausgiebiger Musterung seines Umfeldes sicher sind, dass es sich nicht um einen Junggesellenabschied, eine verlorene Wette oder die Village People handelt, muss Wilhelm noch mal ran. Mir schwant nichts Gutes, als der schwitzende Mann seinen Arm hebt und in die Richtung zeigt, aus der inzwischen ein ganzer Zug von Tomatenlastern kommt. Es ist ja schon fast unmöglich, sich durch die Menschenmassen zu kämpfen – gegen die 38-Tonner hätte Don Quijote mit seinen beiden Sancho Pansas mit Sicherheit keine Chance. Und Wilhelm bringt noch eine zweite schlechte
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