Katerstimmung (German Edition)
Oma anrufen und besorgt fragen, was mit mir los sei und ob ich es nicht lieber endlich beim Dritten Programm versuchen möchte. Oder so was wie der Hirschhausen, der sei doch so lustig. Ich hole meine Sprecherstimme aus dem Fundus und setze zum ersten Versuch an.
«Hier auf den Straßen Buñols gibt es seit zwölf Uhr kein Halten mehr. Zehntausende Menschen bewerfen sich mit überreifen …»
«Stopp! Heißt das nicht Zehntausende von Menschen?»
«Lenny! Nein, das geht beides. Lass mich einfach reden, okay? Du meldest dich nur, wenn man irgendwas akustisch nicht versteht.»
«Okay», meint Lenny und dreht, als er Carlos’ Blick bemerkt, fachmännisch an den Reglern des Tonaufnahmegeräts.
«We start again.»
«No is a problem.»
«Hier auf den Straßen Buñols gibt es seit zwölf Uhr kein Halten mehr …»
«Stopp!»
«Lenny!»
«Du bist auf einmal ganz laut.»
Carlos stellt die Regler wieder richtig ein, und wir fangen noch mal an.
«Hier auf den Straßen Buñols gibt es seit zwölf Uhr kein Halten mehr. Zehntausende Menschen bewerfen sich mit überreifen Tomaten. Die Straßen verwandeln sich teilweise in reißende Tomatenströme …»
«Sorry, sorry, I have to change the bateria.»
«Mein Gott, wie schwer ist es eigentlich, einen Aufsager von zehn Sekunden mit euch zu machen?»
«What happen?»
«No is a problem», antworte ich genervt und sehe, wie Carlos einen schwarzen Ersatz-Akku aus einer der vielen Taschen seiner kurzen Cargohose zieht. Nächster Versuch.
«Hier auf den Straßen Buñols gibt es seit zwölf Uhr kein Halten mehr. Zehntausende … Samma, muss der mir hier genau vor die Linse laufen?» Ich blicke in zwei mühsam offengehaltene Augen, die mich vermutlich doppelt sehen. Es ist der Australier von vorhin, der sich inzwischen so einen reingezimmert hat, dass ihm das verrutschte Flaggenkostüm und das dadurch freigelegte Maurerdekolleté völlig egal sind. Er torkelt unbeirrt weiter, gerät dann allerdings in eine Breakdance-ähnliche Schrittfolge und liegt wenige Sekunden später im Matsch. Ich erkläre meinem spanischen Kameramann, dass er nach meinem letzten Satz auf den schlummernden Bierbauch-Aussie im Tomatenbad schwenken soll. Selbst schuld, wir sind hier beim Privatfernsehen, da gehört Schadenfreude dazu. Dann starten wir erneut.
«Hier auf …»
«Ach und Max, man spricht das Buniol aus», unterbricht dieses Mal Wilhelm.
«Hab ich doch gesagt.»
«Ja, nee, bei dir klingt das immer so ein bisschen zu Deutsch.»
«Mensch, Wilhelm, das sind die News . Da sitzen so viele Spanischsprecher vorm Fernseher wie Jugendliche im Publikum des Musikantenstadls. Könnt ihr mich bitte einfach einmal ohne Unterbrechungen meinen Text sagen lassen? Danke.»
Das Aufblinken des roten Lichts gibt mir meinen nächsten Einsatz.
«Hier auf den Straßen Buñols gibt es seit zwölf Uhr kein Halten mehr.» Lenny und Wilhelm schauen entsetzt auf irgendetwas schräg hinter mir, doch dieses Mal lasse ich mich nicht aus dem Konzept bringen. «Zehntausende Menschen bewerfen sich mit überreifen Tomaten.» Da könnt ihr gestikulieren und winken, wie ihr wollt. Kein betrunkener Wackelpudding hält mich davon ab, einmal diesen Text hinzubekommen. «Die Straßen verwandeln sich teilweise in reißende Tomatenströme – und wenn man nicht aufpasst, liegt man schnell selbst im Roten Meer!»
Ich habe den Satz noch nicht fertiggesprochen, als ich die erste Tomate auf meinen Rücken klatschen spüre. Eine vertraute heisere Stimme krächzt «Dat es dä Typ! Dä hätt ons dä janze Müll vor dä Buud jelade», dann geht alles ganz schnell. Ich drehe mich um und erkenne meine kölschen Feierbiester sofort. Das ist also der Ausflug, weswegen sie so früh aufstehen mussten. Sie sind offensichtlich schon wieder auf Betriebstemperatur oder besser Ausflugstemperatur, vielleicht sogar Betriebsausflugstemperatur – jedenfalls zeugt der haargenau in meine Richtung fliegende Tomatenteppich von einigen Schlucken Schlumpkönig Zielwasser . Ich halte mir schützend die Hände vors Gesicht, erliege aber schon bald der Gewalt der roten Bomben. Beim Versuch auszuweichen rutsche ich auf dem glitschigen Boden der gepflasterten Gasse aus, falle, lande aber erstaunlich weich. Ich vernehme ein «Ja, dat paas däm su, dat is jo suwisu ene schwule Broder», dann merke ich, dass ich mich auf dem geräumigen Bauch des dicken Straßenschwimmers befinde. Neben mir liegt eine Australienflagge im Tomatenmatsch. Zwei zu winzigen
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