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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Reinartz
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Idiot.
    «Max?»
    «Klaus?»
    «Wer ist Ana?»
    «Wieso hast du mich angerufen?»
    «Es ist kurz nach neun! Du hast heute Frühdienst!»
    Verdammt. Stimmt ja! Total vergessen.
    «Ja. Äh, deswegen rufe ich an. Ich kann nicht kommen, ich bin krank.»
    «Wer ist Ana?»
    «Ich meinte Angina.»
    «Was?», fragt Klaus schon fast amüsiert und drückt auf irgendeine Taste. Hoffentlich gibt es keine Recording-Funktion auf seinem Chef-BlackBerry.
    «Ja, im … äh … im Rahmen einer Sommergrippe», sage ich und hüstele pro forma zweimal.
    «Das muss ja wirklich etwas Schlimmes sein, wenn man dich schon in eine Spezialklinik ausgeflogen hat nach Polen, Belgien, Frankreich oder was ist 0034?»
    Momentan läuft aber auch alles gegen mich. Hätten die doch Telefone mit Drehscheibe in der Redaktion! Dann wäre ich jetzt nicht in dieser Argumentationssackgasse. In der letzten konnte ich mit einem lockeren «War nur ein Scherz» den roten Querstrich überspringen. Aber da wurde ich am Ende auch an ein Bett gefesselt, das wird mir mit Klaus hoffentlich nie passieren.
    «Max?»
    «Ja. Klaus. Ich muss dir etwas sagen.» Was muss ich ihm denn sagen?
    «Ach, wie schön!»
    «Ich bin nicht krank.» Ich durchfliege das Verzeichnis alternativer Abwesenheitsursachen, finde aber nichts Passendes.
    «Wirklich? Das überrascht mich sehr!»
    «Ich kann da eigentlich nicht drüber reden.» Geheimprojekt!
    «Ahhh. Soll ich dann vielleicht lieber Ana anrufen? Oder Angina?»
    «Nein, es …», ich beginne verheißungsvoll zu flüstern, «es gibt keine Ana. Das war ein Codewort. Ich bin gestern nach Valencia geflogen, weil ich hier an einer ganz großen Geschichte dran bin. Hab gehört, der Express hat auch seine Leute hier, das wird ’ne Riesenstory.»
    «Was denn für eine Riesenstory? Mallorca wird deutsches Bundesland?»
    «Ich … ich kann es noch nicht sagen. Nur so viel: Es geht um Drogen, Macht und, äh, Missbrauch.»
    Stille. Vielleicht hätte meine Glaubwürdigkeit den Hauch einer Chance gehabt, wenn das Gespräch in diesem Moment beendet gewesen wäre. Stattdessen wacht Lenny auf und eröffnet den Tag spontan mit einem kräftigen «We are the champions, my friend». Ich bedeute ihm, sofort damit aufzuhören, vernehme zwei weitere Sekunden Stille aus Köln, bevor am anderen Ende der Leitung zahlreiche Kehlen in schallendes Gelächter ausbrechen und vereinzelt «and we keep on fighting till the end» singen. Die Taste, die Klaus eben gedrückt hat, war wohl der Lautsprecher. Ich lege auf und bin mir nicht sicher, wie man mich für die Geschichte bestrafen wird und ob ich jemals wieder für die News arbeiten darf. Zwei Minuten später bekomme ich per SMS in beiden Fragen Gewissheit:
    «Mister X! Auf der Suche nach dem großen Wurf vielleicht erst mal mit Tomaten werfen? Sabine ist eingefallen, dass heute in Buñol die Tomatina ist. Gute halbe Stunde von Valencia. Mach da doch bitte einen Aufsager und Bilder für die News . EB-Team und SNG kannst du von Telecinco benutzen, die gehören zur Gruppe. Gute Besserung, mein Name ist Hase.»
    Oh, Leichen auf dem Server! Wann ersteht ihr auf und rächt euch für euer sinnloses Grab neben «Interview Wendler 1/10» und «Schnittbilder XXL-Familie»? Wann geht es im Newsblock endlich einmal um den Zombie-Angriff auf Nachrichtenredakteurin? Verlasst alte Dateipfade und stürmt in die Redaktion! Am besten heute. Am besten bevor Sabine auch mich auf den Server legen lässt. Eingelegt in Tomatensauce.

    Es sind diese wenigen fixen Daten, die einem klarmachen: Jetzt ist schon wieder ein Jahr vorbei. Für den Normalbürger mag das der Geburtstag oder Silvester sein, andere orientieren sich an gesellschaftlich wichtigen Ereignissen wie dem elften September oder dem Beginn der neuen DSDS-Staffel. Für sie ist es der Jahrestag der Beziehung, für ihn das Erscheinen des Kicker-Sonderhefts mit Stecktabelle. Alle diese jährlichen Events haben eines gemeinsam: Sie sehen immer genau gleich aus wie im Jahr zuvor. Das gilt auch für die Evergreens, die einem Boulevardjournalisten die Vergänglichkeit der Zeit vor Augen führen. Aber die haben darüber hinaus immer mit Menschen zu tun, die Dinge auf merkwürdige Weise zweckentfremden, sich gerne Schmerzen zufügen und insgesamt schwer einen an der Klatsche haben. Obwohl das alles seit gestern Nacht auch auf Ana und mich zutrifft. Wenn CNN US: High Heel-a-Thon vermeldet, ist Zeit für leichtbekleidete Frauen in Stöckelschuhen, die beim New Yorker

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