Katerstimmung (German Edition)
Hüte tief ins Gesicht gezogen. Lenny übt die Aussprache von Ciudad Juárez, Wilhelm dreht sich eine Zigarette. Nach einigen Minuten sehen wir eine Gruppe von Badehosenträgern mit Luftmatratze an der Tiefgarageneinfahrt vorbeilaufen.
«Und … Action!», gebe ich meinen Schauspielern den Einsatz und verstecke mich hinter einem Auto. Irgendwie sind meine Jungs schon super. Mit was für einer verruchten Lässigkeit sie auf die fünf Strandgänger zugehen. Großes Kino.
Die wiederum sehen aus, als hätten sie für ihre Frisuren länger gebraucht als für das Aufblasen der Luftmatratze. Viel länger. Wenn unter der Schädeldecke nicht viel passiert, muss man eben wenigstens mit einem außergewöhnlichen Kopfkissen auffallen.
Der Plausch beginnt. Viel erkenne ich nicht, bin jedoch froh, dass ich Wilhelm als Wortführer ausmachen kann. Anfangs lachen die Badehosen noch, dann hat er wohl endgültig seinen Weichspülertonfall abgelegt und schaltet in den Cillit Bang -Modus. Es wird lauter, Lennys aggressive Einwürfe zahlreicher, die Flip-Flop-Gang nervöser. Irgendwann flüchten sie Richtung Strand. Feiglinge. Aber Hauptsache heute Abend auf dem Podest wieder Mr. Disco mimen.
«Zieht euch die Sachen aus. Wir treffen uns gleich im Hotel», rufe ich Marlon Brando und Al Pacino im Vorbeigehen zu.
«That’s what I said!», höre ich Lenny noch antworten, dann nehme ich die Verfolgung der Badehosenbubis auf. Auf der breiten Straße zum Strand wird das zunehmend schwieriger. Es gibt eine Menge restalkoholisierte Körper mit Flip-Flops, Badeshorts und Frisuren, die sich Richtung Sand schleppen. Ich bin schon fast an der Promenade angekommen, als sich ein braun gebrannter Videoclipkörper in Hot Pants und Tigermusterbikinioberteil in meinen Weg stellt.
«Hi, ich bin die Mimi, hast du heute Abend schon was vor?»
«Hi, ich bin der Max, ja.»
Ich versuche weiterzugehen, aber so leicht gibt Mimi nicht auf.
«Also, falls die vom Marinero Moco euch was von drei Freigetränken erzählt haben, das stimmt eh nicht.»
Nervös schaue ich auf die andere Straßenseite, wo meine Zielpersonen sich gerade in einem kleinen Supermarkt mit Wasser und Dosenbier versorgen.
«Neenee, wir wollten in so ’nen Tschiringgito», lüge ich, um meine Ruhe zu haben.
«Was?»
«Ich dachte, so heißen diese Läden am Strand.»
«Sorry, hier spricht keiner Spanisch.»
«Aso.»
«Also, falls ihr Bock habt, schaut doch mal bei uns im Beverly vorbei. Heute tritt Peter Wackel auf», meint Tigermimi und drückt mir einen Flyer in die Hand, auf dem sich ein grinsender Mann als «Partynator» vorstellt. Rein optisch könnte er auch Betreiber der Solarium World Köln Porz sein oder zusammen mit Uwe aus Dinslaken hinter der Theke im Bierbrunnen stehen. Aber wahrscheinlich ist es am Ende noch ein abgebrochener Jurastudent.
«Ich hätte auch noch Songtexte da, falls ihr schon mal bisschen üben wollt.»
«Mhm», murmele ich und sehe besorgt, dass meine Badehosen aus dem Supermarkt kommen.
«Also ich hätte Nüchtern bin ich so schüchtern , Kenn nicht deinen Namen – scheißegal (besoffen) oder Bist du gut zu Vögeln? .»
Wurde Deutschland nicht mal als Land der Dichter und Denker bezeichnet? Reicht es jetzt schon, wenn man das Flirtprotokoll des Vorabends runtersingt?
«Das mit den Vögeln klingt super», sage ich, nehme ihr ein Blatt Papier aus der Hand und bleibe den Jungs auf den Fersen. Irgendwie tut mir Tigermimi leid. Vermutlich hat die vor ein paar Monaten ihr Abi gemacht und sich mit Wissenschaftskritik und Ethik in Goethes Faust beschäftigt. Und jetzt steht die acht Stunden am Tag in der prallen Sonne und muss Wackelpeter ankündigen. Aber gut, ich habe mich irgendwann auch mal mit Wissenschaftskritik und Ethik in Goethes Faust beschäftigt und bin inzwischen bei verzierten Klodeckeln angekommen. Ich tue mir auch leid.
Kurz bevor das Strandgetümmel meine O-Ton-Geber endgültig geschluckt hat, schlage ich zu:
«Entschuldigung, ich bin vom Fernsehen. Habt ihr schon mitbekommen, dass hier Deutsche von der Drogenmafia belästigt werden?»
«Ja, voll läppsch! Die haben uns auch schon angelabert. Komm isch gar nisch drauf klar», prustet der Erste los und wird sofort unterstützt:
«Sag isch noch zu dem ‹Fuck misch nisch ab, Otto› und der so voll aggressiv irgendwas auf Italienisch oder so gesagt.»
«Spanisch», werfe ich ein, relativiere dann aber: «Oder? Also wäre ja naheliegend, weil wir in Spanien sind …»
Es arbeitet in
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