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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Reinartz
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geprägt. Je besser das Lokal, desto leiser die Gäste. Wenn irgendwo die Tischlautstärke langfristig einen Dezibelwert von 10 (ruhiges Atmen) überschreitet, werden alle anderen hellhörig. Sie verdrehen die Augen, lästern flüsternd über diese «Proleten» oder lauschen deren Gesprächen. Die sind nämlich meistens interessanter als am eigenen Tisch.
    Das Essen wird als Aufgabe angesehen, die man zu erledigen hat und die voller Konzentration bedarf. Deswegen wird während des Essens auch nur vereinzelt gesprochen. Den Optimalzustand der absoluten Stille versteht der Koch als Bestätigung seiner Arbeit. Es ist kein Zufall, dass wir Deutschen die weltweit unverstandene Redensart «gefräßiges Schweigen» besitzen.
    Wenn Spanier essen gehen, dann wollen sie offensichtlich in erster Linie reden. Ohne Ruhe, ohne Ordnung. Vieles in der Tasca de Pepe erinnert mich an einen Wurststand im Fußballstadion. Alle stehen dicht gedrängt, reden durcheinander, werfen ihre Servietten auf den Boden, und in der Ecke läuft ein Fernseher mit Fußball. Nur findet man holzgetäfelte Decken, von denen prachtvolle Keulen Serrano-Schinken herabhängen, selten im «Zapfhahn» in der Arena auf Schalke. Und kunstvoll drapierte Tapas schon gar nicht. Am Nachmittag war ich noch von der spanischen Auffassung von Variantenreichtum enttäuscht, als ich in einer Bäckerei die Wahl zwischen einem langen, dünnen Baguette, einem langen, dicken Baguette, einem kurzen, dünnen Baguette und einem kurzen, dicken Baguette hatte. Hier auf dem Tresen stehen jedoch unzählbar viele Teller mit diversen kleinen Happen. Bestellt wird, was dem Auge gefällt. Spanier kalkulieren wohl nicht ansatzweise, wie viel sie am Ende ausgeben werden. Es wird so lange von den Leckereien genascht, bis man satt ist. Bei Weißbrotscheiben mit Camembert im Speckmantel geht das aber schneller, als die Portionsgrößen vermuten lassen.
    Und wie die Spanier bleiben Lenny, Wilhelm und ich auch nicht in einem Lokal. Wir ziehen durch die Straßen und schauen überall vorbei, wo eine angemessene Lautstärke herrscht. Gefräßiges Schweigen klingt für einen Spanier nämlich wie braun gebrannter Albino. Erst wenn der Lärmpegel 100 Dezibel erreicht, gilt die Bar als angesagt. Schalldruckexperten kennen diesen Wert als die Presslufthammer-Grenze. Kleinere Bars müssen sich daher besonders anstrengen, um Gäste anzulocken. Im Zweifelsfall unterhält sich der Kneipier mit den zwei Stammgästen einfach dreimal lauter als normal. Oder man überlässt dem Fußballkommentator im Fernseher den Job.
    Während ein Restaurantbesuch in Deutschland die Tagesordnungspunkte Hinsetzen – Flüstern – Bestellen – Umbestellen – Essen – Bezahlen – Heimgehen vorsieht, läuft das in Spanien eher so: Reinquetschen – Reden – Essen – Reden – Weiterziehen – Reinquetschen – Reden – Essen … und das in Endlosschleife. Spontan, chaotisch, abwechslungsreich. Es ist schon wieder so was, das ich gerne in meine innere Tupperdose packen würde. Auch Lennys und Wilhelms Laune kommt dank frittierten Gambas und angebratenen Paprikastreifen langsam wieder aus der Tiefgarage. Um Punkt Mitternacht stehen wir vor dem Luna Mar.
    Heute hat das offene Hemd keine Chance, uns als Letzte zu bedienen. Nach allen an der Theke wartenden Mädels. Es sind nämlich noch keine da. Wir bestellen drei Gin Tonic und setzen uns auf die weißen Ledersofas mit Blick zum Eingang.
    Als sich der Club langsam füllt, steht Lenny auf. Er kündigt an, dass die SOKO Aufriss jetzt ermitteln muss. Da ist es wieder: das Lenny-Vokabular. Er gehört zu den wenigen Menschen, deren Wörterbuch «Nachtleben» dicker ist als der mentale Brockhaus. Und darin findet sich dann ein Variantenreichtum wie im Joghurtregal. Statt der SOKO verwendet Lenny auch «Ostereier suchen», «die Rosinen rauspicken» oder «Schäfchen zählen» und meint in jedem Fall die gezielte Suche nach attraktiven Frauen. So viel habe ich schon gelernt.
    Wilhelm hält er als Co-Trainer grundsätzlich für ungeeignet, heute will er aber auch mich nicht mitnehmen. Mit meiner Ana-Fixierung sei ich kein intaktes «Schutzblech». Noch so ein Lenny-Wort. Seine Taktik ist nämlich stets dieselbe: Als Erstes sucht er sich ein geeignetes Ziel aus. Das ist jedoch meistens nicht alleine da, sondern hat eine oftmals weniger bis null Komma null attraktive Freundin dabei – in Lennys Wörterbuch unter «Zonk», «Trostpreis» oder «Dschungelprüfung» zu finden. Damit

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