Katerstimmung (German Edition)
ihre Facebook-Konten gelöscht, den spanischen Cello-Lehrer entlassen und das Wochenende auf dem Bio-Bauernhof gestrichen. Gefahren lauern überall!
Schlauchi (25, Student): Mir wurde das Zeug auch untergeschoben! Aber ich möchte jetzt anderen helfen: Wenn Sie als Eltern nicht wissen, wie Marihuana aussieht, können Sie bei mir Materialproben (15 Euro das Gramm) für eine effektive Durchsuchung des Kinderzimmers erwerben. Geteiltes Leid ist halbes Leid!
Ich kann allmählich verstehen, was für einen Spaß der Typ gehabt haben muss, der damals die gefälschten Hitlertagebücher rausbrachte. Nur hoffentlich wird das hier nicht als Satire à la Schtonk verfilmt. Mir schwebt da eher so eine Schwindler-Verehrung wie Catch me if you can vor. Allein schon, weil ich mich lieber von Leonardo DiCaprio spielen ließe als von Uwe Ochsenknecht.
Ich lasse die wartenden Engländerinnen ran, die vermutlich immer noch keinen heißen Spanier abgegriffen haben und daher wieder eine Runde Freundschaftseinladungen und Pinnwandkommentare bei Facebook raushauen. Das funktioniert so ähnlich wie Streubomben: Irgendwen wird man schon treffen.
Beschwingt laufe ich in den Fernsehraum. Lenny und Wilhelm sind die einzigen Gäste auf den roten Sofas. Sie starren mit versteinerten Mienen auf den Flachbildschirm, der gerade den Vorspann vom heute journal zeigt.
«Was ist denn los? Wird Lloret de Mar Kulturhauptstadt? Ist das renovierte Geißbockheim eingestürzt?»
«Die bringen es alle», kommentiert Lenny, ohne seinen Blick vom Fernseher zu lösen.
«Was?», frage ich. Doch bevor sich eine der beiden Salzsäulen äußern kann, ergreift Claus Kleber das Wort:
«Das erste Mal ohne Eltern in den Urlaub: Das ist für viele Teenager in Deutschland der Traum von Freiheit, Abenteuer, Unabhängigkeit.»
Eigentlich wäre das der richtige Moment für das Trinkspiel «Was will Claus?»: nach dem verwirrenden ersten Satz der Anmoderation das Thema des Beitrags erraten. In diesem Fall würde ich auf Perspektivlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt, erhöhte Kerosinpreise oder Armut in Indien tippen. Aber meine Kompagnons glotzen den Nachrichtenonkel noch immer an, als würde er nackt im Studio stehen.
«Wenigstens ein paar Tage im Jahr nicht über den Büchern schwitzen, sondern am Strand der Costa Brava. Und viele Eltern lassen ihre Kinder bedenkenlos ziehen. Was soll denn schon passieren?»
Vorsicht, rhetorische Frage! Langsam bleibt auch mein Blick an den Lippen von Claus kleben. Wenn der so was erst mal in den Raum gestellt hat, fährt er selten fort mit: «Nichts. Weitere Nachrichten des Tages von Gundula Gause.»
«Doch genau von dort erreichen uns jetzt Meldungen, die gar nicht nach Freiheit, Abenteuer und Unabhängigkeit klingen. Jugendliche, die nur ein paar Tage Entspannung wollen, werden von mafiösen Drogenschmugglern zu Kurierdiensten missbraucht. Und bringen, teilweise ohne es zu wissen, Marihuana, Kokain und vielleicht noch mehr in unser Land. Luten Leinhos berichtet.»
Claus Kleber ist schon längst beim Wohlfühl-Beitrag am Ende der Sendung angelangt. Wir sitzen noch immer wortlos vor der Glotze. Die haben wirklich meine Story gebracht. Und das Video. Ich weiß nicht, ob ich das eben Gesehene lieber relativieren oder entschuldigen soll. Daher entscheide ich mich für ignorieren.
«Ich will ja nicht drängen, aber wir sollten wirklich los, wenn wir vor dem Luna Mar noch was essen wollen.»
«Alter, kannst du mal fünf Minuten nicht an dich denken? Wir laufen mit langen Bärten und komischen Hüten auf allen Kanälen!»
«Na gut, Lenny, das geht dem Weihnachtsmann im Dezember nicht anders.»
«Das ist hier aber nicht Weihnachten! Das ist die Realität! Wir schauen hier nicht ‹Wünsch dir was›.»
«Nee, ‹Hart, aber fair›. Die Sache ist die: Wir kommen aus der Nummer nicht so leicht raus. Wir müssen das Spiel ein bisschen mitmachen. Aber sobald sich das mit Ana geklärt hat, hält mich auch nichts mehr hier. Versprochen. Ich lad euch zum Essen ein.»
Wenn Deutsche essen gehen, dann wollen sie in vielen Fällen in erster Linie essen. Mit Ruhe und Ordnung. Sie setzen sich an einen Tisch, legen sich Servietten auf die Oberschenkel und bestellen das Jägerschnitzel. Am liebsten mit Kartoffeln statt Pommes, Suppe statt Beilagensalat und Wiener Schnitzel statt Jägerschnitzel. Da Umbestellen einen Euro kosten würde, belassen sie es oft doch bei der ursprünglichen Wahl.
Die Atmosphäre ist im Wesentlichen von Stille
Weitere Kostenlose Bücher