begeistert Interviews geben.
Eine Journalistin der deutschsprachigen Zeitung La Costa erzählt mir, dass sie anfangs auch noch skeptisch gewesen sei. Es habe schließlich nur dieser Karl Säuler darüber berichtet. Aber dann habe ja auch noch der Fernsehkorrespondent mit der Geschichte angefangen. «Und wenn es zwei unabhängige Quellen gibt, dann können wir das bringen.» Glückwunsch. Die zwei sind so unabhängig wie Dr. Jekyll von Mr. Hyde, Michel Friedman von Paolo Pinkel, Silvio Berlusconi von
[email protected]. Ich nicke.
Mitten im Journalistenpulk entdecke ich Carlos mit geschulterter Kamera. Er winkt mich zu sich. Eine Frau mit Das Erste -Mikrophon stutzt ihn gerade zurecht, wovon er aber offensichtlich kein Wort versteht.
«Wem gehört der denn?», fragt sie genervt in die Runde. Geht’s noch? Sind wir jetzt komplett in die Tierwelt geraten?
«Uns!», rufe ich und laufe auf die beiden zu. «Ist uns unser kleiner Carlos wieder ausgebüxt! Entschuldigen Sie bitte die Unannehmlichkeiten. Nächstes Mal nehme ich ihn wieder an die Leine.» Irritierte Augen hinter langen, getuschten Wimpern blinzeln mich an.
«Ich meinte nur … es kann hier nicht jeder kreuz und quer laufen, wie er will. Es gibt hier eine Reihenfolge: Wenn die von der BILD fertig sind mit ihren O-Tönen, dann machen wir für Brisant noch kurz ein paar Schnittbilder am Strand, und dann möchte stern TV die Tiefgaragenszene nachstellen lassen. Danach wärt ihr dran. Was wollt ihr eigentlich?»
Es ist immer der gleiche Ablauf. Der natürliche Lebenszyklus eines Skandals. Frisch auf der Welt, wird erst mal nicht viel geredet. Es gibt nur kurze Statements der Opfer. Doch schnell verselbständigt sich der Skandal. Interviews wollen mit Bewegtbildern illustriert werden, wofür man die Leute sinnlos durch die Gegend scheucht. Am liebsten durch Parks, über Spielplätze oder am Strand entlang. Nur beim Anwalt oder Beamten wird drinnen gedreht: Meistens wird die Szene genommen, in der er wahllos einen Ordner aus dem Schrank holt oder telefoniert. Dann wird die Tat nachgestellt. Je nachdem, wie professionell das aussehen soll, nimmt man dafür entweder die Opfer selbst oder Laiendarsteller aus dem Nachmittagsprogramm. Letztere sind meist günstiger zu bekommen, dafür aber die schlechteren Schauspieler. Der Lebensabend des Skandals ist erreicht, wenn die ersten zusammenfassenden oder weiterführenden Artikel erscheinen. «Die Chronologie des Schreckens» oder «Die 10 größten Lebensmittelskandale aller Zeiten» sind ein zuverlässiger Indikator für ein baldiges Ableben des Skandals. Im Sterben liegt er, wenn irgendwer auf einmal «jetzt spricht». Nach «Jetzt spricht die Mutter des Opfers!» hat er vielleicht noch ein paar Tage, «Jetzt spricht der tote Wellensittich des Opfers aus dem Jenseits!» gilt als Sterbeurkunde.
«Wir wollen die Jungs nur fragen, ob sie bei der großen SAT.1 -Eventspielshow Ich packe meinen Koffer mitmachen wollen. Moderiert von Hugo Egon Balder und Hella von Sinnen.»
Die Brisant -Redakteurin dreht sich um und reiht sich lieber wieder in die Schlange ein. So kommen wir nicht weiter. Bis wir dran sind, haben die ohnehin schon alles abgegrast. Und den Bär zu interviewen macht auch nicht viel Sinn. «Jetzt spricht der Eigentümer der Tiefgarage!» würde es wahrscheinlich nicht mal in den Express schaffen. Es ist schon verrückt. Inzwischen lassen uns die Playmobil-Cowboys schon nicht mal mehr mitspielen. Und dabei haben wir die Lego-Ritterburg gebaut! Eigentlich haben wir keine Wahl. Wir müssen eine neue bauen.
Lenny und Wilhelm sehen nicht so aus, als ob sie darauf gerade besonders viel Lust hätten. Sie fläzen in der Lobby in durchgesessenen schwarzen Sesseln mit abwaschbarem Kunstlederbezug. Erneut wünsche ich mir den Sitcom-Effekt: Vorschlag für weitere Dealerszene – Entsetzte Reaktionen von Lenny und Wilhelm – Schnitt: Die beiden stehen verkleidet in der Tiefgarage. Vielleicht klappt es ja.
Zehn Minuten später wünsche ich mir, diesen Vorschlag nie gemacht zu haben. Der erste Teil hat noch ganz gut geklappt. Das «Auf gar keinen Fall» kam dieses Mal auch fast nach Sitcom-Manier synchron. Nur hatten die beiden prompt einen Gegenvorschlag. Und deswegen steht nach dem Schnitt nicht Lenny oder Wilhelm in der Tiefgarage. Sondern Max in der Unterführung. Mit Rauschebart, Sombrero und dunkler Sonnenbrille. Carlos begreift noch immer nicht wirklich, was hier gespielt wird. Irritiert