Kates Geheimnis
gerührt.
In diesem Moment erschien die Bedienung, stellte ihnen Teetassen, Untertassen und Teller hin und lächelte Alex an. Alex und Jill schwiegen, während sie einen Korb mit Rosinenbrötchen und verschiedene Marmeladen vor sie hinstellte, und dazu noch eine Platte mit Sandwiches. Als Letztes kam die weiße Teekanne.
Während Alex Tee einschenkte und den Blick nicht von ihr abwandte, nahm sich Jill ein Gurkensandwich, biss hinein, obwohl sie nicht wirklich hungrig war, 391
und versuchte seinem Blick auszuweichen. War Edward ihr Urgroßvater? Der Gedanke schien nicht in ihren Kopf passen zu wollen. Vielleicht hatte Mrs.
Witcombe sich geirrt. Vielleicht hatte sie sich einfach nicht richtig daran erinnert. Vielleicht war es besser, wenn sie die ganze Sache einfach vergaß.
Plötzlich hatte Jill Angst.
Schlimmer noch, sie konnte nicht genau sagen, warum - aber sie wusste, dass sie die Suche nach Kate Gallagher nicht abbrechen durfte. Noch nicht. Weil ihr etwas Schreckliches passiert war .
Jill erinnerte sich an KCs Traum über die verängstigte Kate. Sie wünschte, KC hätte ihn nie gehabt. Und nun wünschte sie, dass nicht Edward Kates Liebhaber gewesen war. Denn wie konnte er nicht mit ihrem Verschwinden zu tun haben?
Alex nahm einen Schluck von seinem Tee.
»Wärst du dann mein Cousin?«, fragte sie abrupt.
»Nein.« Seine lebhaften blauen Augen bohrten sich in ihre. »Ich bin mit Edward überhaupt nicht verwandt. Anne war meine Großtante. Aber es würde dich zu einer entfernten Cousine, einer sehr entfernten, von Thomas und Lauren machen.« Er schaute weg und nahm sich ein Rosinenbrötchen.
»Und von Hal.«
Jill erstarrte. Zuerst war sie schockiert, bis sie sich überlegte, wie entfernt die Verwandtschaft gewesen wäre. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
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Alex packte fest ihre Hand. »Jill. Wir haben keinen Beweis dafür, dass Edward deinen Großvater gezeugt hat. Wenn Kate wirklich so eine ungestüme junge Frau war, kann es sein, dass Edward einer von vielen Liebhabern war - oder vielleicht gab es überhaupt keine Männergeschichten, und die ganze Sache ist nur uralter Klatsch und Spekulation.«
»Aber verschwunden ist sie ganz sicher.« Jill entzog ihm ihre Hand. »Ja> das ist sie«, stimmte Alex ernst zu.
Jill starrte auf die Platte mit den Sandwiches.
Zwischen Kates Ankunft in England und ihrem Verschwinden war nicht allzu viel Zeit vergangen.
Wenn Edward ihr Liebhaber gewesen war, dann war er der Vater ihres Kindes. Was, um Himmels willen, war nur mit Mutter und Kind geschehen?
Sie wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber wenn Edward im Begriff gewesen war, Anne zu heiraten - Kates beste Freundin , dann konnte man nur annehmen, dass ihm sehr viel daran gelegen haben musste, seine Affäre zu vertuschen. Vielleicht war Kate aus Schmerz und Wut fortgelaufen.
Plötzlich merkte Jill, dass Alex sie genau beobachtete, mit einem merkwürdigen
Gesichtsausdruck. Sie verstand nicht, was er bedeutete, und in dem Moment, als er ihren Blick bemerkte, änderte sich seine Miene und wurde freundlich. Was hatte sie da in seinen Augen 393
gesehen? Jill wurde wirklich nervös. Sein Gesicht hatte so anders gewirkt als vorher.
»Alles in Ordnung?«
»Eigentlich nicht.« Das war die Wahrheit. Sie schauderte. Vielleicht war sie so aufgewühlt, dass sie langsam paranoid wurde. Der Gedanke war tröstlich.
Aber im selben Moment dachte sie an den Sekundenbruchteil, als sie Laurens furchtbar bösartigen Blick gesehen hatte - der sich auf sie gerichtet hatte: »Alex, ich würde gern herausfinden, wann Edward und Anne sich verlobt haben.«
Er überlegte. »Na ja, wir wissen, dass sie im Oktober 1908 noch nicht verlobt waren, denn das hätte der kleine Artikel über Annes Geburtstagsparty vermerkt.«
»Und das war das letzte Mal, dass Kate gesehen wurde«, sagte Jill, zugleich traurig, niedergeschlagen und verwirrt. »Das heißt wohl, dass Kate und Edward etwas miteinander hatten, bevor er sich verlobt hat, und das halte ich für eine gute Neuigkeit.« Sie bemerkte seinen Blick und fügte rasch hinzu. »Wenn sie etwas miteinander hatten.«
»Ich hab mein Notebook dabei. Ich kann dir gern zeigen, wie man damit übers Internet in die verschiedenen Archive hineinkommt. Aber es kann gut sein, dass du noch die ganze Nacht dasitzt und uralte Zeitungen durchsuchst.«
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»Das macht nichts«, sagte Jill und schob ihren Teller von sich. »Edward hat sie nicht geliebt. Er hat sie nur benutzt.
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