Kates Geheimnis
Jill. »Ich verstehe nicht.« Sie brachte ein Lächeln zustande.
»Verzeihung. Wie unhöflich von mir. Sie sind Jillian Gallagher?«
Jill war das entsetzlich peinlich. Sie trat vor, ganz sicher, dass sie der letzte Mensch sein musste, den Margaret Sheldon sehen wollte. »Ja. Wir wollten niemanden stören, Lady Sheldon. Es tut mir Leid, wenn wir Sie erschreckt haben.«
»Die richtige Anrede für meine Tante ist Lady Collinsworth«, korrigierte Alex sie freundlich.
»Sheldon ist der Familienname, aber der Titel lautet Collinsworth.«
Jill nickte und errötete noch heftiger.
»Sie stören gar nicht ... ich bin nur überrascht ... ich habe Geräusche aus diesem Zimmer gehört«, Margaret brach ab, sie war den Tränen nahe. Sie blickte sich in Hals Zimmer um, als erwarte sie, dass er jeden Moment irgendwo auftauchen könnte.
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Jill wünschte sich überallhin, nur nicht in Hals Schlafzimmer mit Hals Mutter. Beschützend schlang sie die Arme um ihren Oberkörper.
»Wir hoffen, hier einige sehr wichtige Briefe zu finden«, erklärte Jill lahm. »Hal hat sie vor seinem Tod an irgendeinem sicheren Ort versteckt. Es tut mir so Leid.« Sie wollte noch viel mehr über diese Briefe erzählen. Sie wollte erklären, dass sie Hal geliebt hatte und
dass sie ihn nicht hatte töten wollen. Sie wollte diese Frau um Vergebung bitten.
»Briefe?«, fragte Margaret verwirrt. Sie war blass, und in ihren blauen Augen stiegen Tränen auf. Sie wandte sich an ihren Neffen. »Ich hätte gern ein andermal eine Erklärung hierfür, Alex. Jetzt bin ich sehr müde.«
»Natürlich, Tante«, erwiderte er respektvoll.
»Ich finde, dass du und Miss Gallagher Hals Sachen sowieso nicht durchsuchen solltet, da er selbst nicht hier ist, um ... « Sie verstummte, Tränen liefen ihr über die Wangen. »Da er nicht hier ist«, flüsterte sie schwach.
Jill wollte zu dieser Frau gehen und sie trösten.
Doch sie rührte sich nicht. Ihre eigenen Augen wurden feucht.
Alex tat es. Er legte einen Arm um Margaret. »Ich bringe dich auf dein Zimmer. Morgen werde ich dir 305
alles erklären. Wo ist Onkel William?« Seine Stimme war sanft.
»In der Bibliothek. Er versucht zu lesen«, antwortete sie und ließ sich ohne weiteres von Alex zur Tür bringen.
Alex schaute über die Schulter zu Jill zurück. »Wir sehen uns dann unten.« Ihre abendliche Suchaktion war beendet, jedenfalls für den Moment.
»Ich will erst noch aufräumen«, sagte Jill, die sich schrecklich fühlte, weil sie Margaret Sheldon in ihrer Trauer belästigt hatte. »Ich möchte mich noch einmal entschuldigen, Lady Collinsworth.« Margaret drehte sich tatsächlich um und nickte Jill zu, sie versuchte sogar ein zittriges, mattes Lächeln. Dann gingen sie.
Mit einem riesigen Kloß im Hals machte Jill sich rasch daran, Hals Sachen wieder einzuräumen. Sie musste die Briefe finden, aber eins war klar: Sie sollte sich von diesem Haus so weit wie möglich fern halten
- und von Hals Familie. Vielleicht mit Ausnahme von Alex. Aber wenn sie ihr plötzliches Interesse an ihm bedachte, vielleicht auch nicht. Ein paar Minuten später kam sie eilig die Treppe herunter. Ihr einziger Wunsch war, sich ein Taxi zu rufen - wenn es so etwas in dieser vornehmen Gegend gab - und sich in ihrer gemütlichen Wohnung zu verkriechen. Sie würde sich einen starken Drink machen und mit den Katzen schmusen. Sie würde versuchen, den ganzen Abend zu vergessen.
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Im Foyer zögerte sie. Thomas war im Wohnzimmer und machte sich einen Drink. Er stand mit dem Rücken zu ihr.
Das war das Tüpfelchen auf dem i. Er war derjenige, den sie am wenigsten sehen wollte. Ihr erster Gedanke war, sich aus dem Haus zu schleichen, bevor er sie entdeckte. Aber er musste ihre Anwesenheit gespürt haben, denn er drehte sich um.
Seine braunen Augen weiteten sich, als er sie sah.
Jill fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und wollte sehr höflich Hallo sagen. Aber sie brachte kein einziges Wort heraus.
Er schritt auf sie zu, einen Scotch in der Hand, während Jill an der Treppe wie angewachsen stehen blieb. Er kam offenbar gerade aus dem Büro oder aus einem Restaurant, denn er trug einen dunklen Anzug mit Krawatte. Sein Hemd war rosa. Nicht viele Männer konnten ein rosafarbenes Button-Down tragen und darin absolut maskulin wirken. Thomas schon. »Guten Abend, Jill.«
»Guten Abend, Thomas.« Sie bemühte sich um höflichen Small Talk. »Wie geht’s?«
Sein Lächeln war kurz und mechanisch. »Gut.« Er starrte sie mit
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