Kates Geheimnis
so Leid.« Er würde sie abkanzeln.
»Es wäre sicher besser, wenn Sie und meine Frau sich nicht noch einmal begegnen. Miss Gallagher, ich muss Sie dringend bitten, sich von meiner Frau fern zu halten. Es geht ihr nicht gut, sie ist in tiefer Trauer, 340
und es scheint ihr schlechter zu gehen, seitdem sie Sie gesehen hat. Sie hat die ganze Nacht nicht geschlafen und über Herzbeschwerden geklagt. Es war ihre schlimmste Nacht seit der Beerdigung.«
Natürlich war Margaret Sheldon ihr bloßer Anblick verhasst. Jill schluckte. »Ich will nicht, dass Ihrer Frau etwas zustößt«, flüsterte sie. Wollte er sie für immer aus dem Haus verbannen? Jill wusste, dass es abscheulich von ihr war, nur ihre Suche nach den Briefen im Kopf zu haben, aber sie konnte nicht anders. »Lord Collinsworth, wir waren auf der Suche nach einigen wertvollen Briefen.«
»Das hat man mir gesagt. Wertvoll für wen?«
»Nun, sie wären sicherlich bedeutende Hinterlassenschaften, für Sie und Ihre Familie«, begann Jill.
»Aber was hat das mit Ihnen zu tun?«, fragt er spitz.
»Kate war eine Verwandte von mir. Dafür habe ich einige Beweise.« Jill wusste, dass sie da übertrieb.
»Nun, das mag ja sehr interessant sein, aber ich muss Sie trotzdem bitten, alles zu unterlassen, was eine Aufregung für Lady Collinsworth bedeuten könnte.«
Jill wollte ihn geradeheraus fragen, ob sie wiederkommen und die Briefe suchen dürfte, wenn seine Frau nicht zu Hause war. Sie tat es nicht. Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass dies der falsche Zeitpunkt war. Aber es würde nicht schaden, 341
sich für die Zukunft einen besseren Stand zu verschaffen. Jill schluckte. »Ich habe praktisch keine Familie, Mylord. Meine Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben, als ich fünf Jahre alt war. Ich bin bei einer Tante aufgewachsen, die schwerhörig war und viel zu alt, um mit einem kleinen Kind belastet zu werden. Ich bin von zu Hause fortgegangen, um eine Ballettausbildung zu machen, als ich siebzehn war - und nie zurückgekehrt. Ich muss wissen, ob Kate Gallagher zu meinen Vorfahren gehört. Sie können Ihre Abstammung Hunderte von Jahren zurückverfolgen. Ich nicht einmal eine Generation.«
»Ich habe großes Verständnis für Ihre Bitte, und wenn es meiner Frau besser ginge, würde ich Ihnen selbstverständlich gestatten, Ihre Suche nach Ihren Wurzeln fortzuführen, Miss Gallagher. Aber im Augenblick würden Sie ihren gesundheitlichen und geistigen Zustand nur verschlimmern.« Er sah auf seine Uhr, ein goldenes Gehäuse an einem schwarzen Armband von Van Cleef & Arpels, erhob sich und deutete damit an, dass ihre Unterhaltung beendet war.
»Ich muss jetzt in die Firma.«
Jill stand auf und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Kate Gallagher war bei Ihrer Mutter zu Gast, bevor sie Edward geheiratet hat - Ihren Vater.
Kate hatte ein Kind, das wahrscheinlich ausserehelich geboren wurde. In demselben Jahr, 1908, ist Kate verschwunden - und wurde nie mehr gesehen.«
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Er sah sie verständnislos an. »Wie bitte?«
Jill begann zu schwitzen und wiederholte, was sie gesagt hatte. »Was versuchen Sie zu sagen, Miss Gallagher? Weshalb sollte das für mich von Interesse sein?«
»Hat Ihre Mutter je von Kate gesprochen? Hat sie sie erwähnt? Wissen Sie, wer der Vater ihres Kindes war? Sie haben doch sicher etwas gehört, Sie sind doch hier aufgewachsen.«
»Ich weiß nichts über Kate Gallagher, Miss Gallagher. Heute habe ich zum ersten Mal von ihr gehört. Meine Mutter war eine viel beschäftigte Frau, als ich noch klein war. Ich habe die meiste Zeit in einem Internat verbracht, und mein Bruder ebenso.
Mutter war eine Matriarchin - mein Vater ist sehr jung gestorben, schon 1944. Mutter hat unseren Besitz verwaltet, im House of Lords die Fäden gezogen und war in jeder einzelnen Firma des Collinsworth-Konzerns die Vorstandsvorsitzende, von den unzähligen Wohltätigkeitsvereinen gar nicht zu sprechen, in denen sie sich sehr engagiert hat. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die in der Vergangenheit schwelgen. Solange sie lebte, lebte sie im Hier und Jetzt. Das ist es, woran ich mich erinnere.« Er lächelte nicht, als er hinter seinem Schreibtisch hervorkam und ihr die Hand hinstreckte.
»Das klingt, als sei sie eine starke und bewundernswerte Frau gewesen«, sagte Jill. Den Rest ihrer Gedanken behielt sie für sich, nämlich dass sie 343
auf dem Porträt und auf dem Foto, das Jill gesehen hatte, alles andere als stark wirkte.
»Ja, sie
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