Kates Geheimnis
war beides. Nun, wenn das alles ist?«
Jill zögerte. »Wussten Sie, dass Hal ein Foto von Anne und Kate als sechzehnjährige Mädchen aufbewahrt hat?«
Er starrte sie an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank. Oder als könne er nicht ganz glauben, dass sie ihm nicht die Hand gegeben hatte und gegangen war, wozu er sie recht deutlich aufgefordert hatte.
»Nicht nur, dass Hal dieses ungewöhnliche, sehr alte Foto aufbewahrt hat, er hatte auch das Datum auf die Rückseite geschrieben - und es in einem Rahmen auf seinen Nachttisch gestellt: Es hat ihm offensichtlich viel bedeutet«, sprudelte Jill hervor.
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Es war ihm sehr wichtig«, sagte Jill, »und ich versuche herauszufinden, warum.«
William schüttelte den Kopf. »Wir alle haben eine schlimme Zeit hinter uns«, sagte er. »Ich weiß, dass Sie meinem Sohn sehr nahe standen, und ich weiß, dass Sie ebenso gelitten haben wie wir. Vielleicht hat Ihre Besessenheit einen positiven Effekt, sie lenkt Sie ab. Aber ich würde Ihnen dringend raten, sich zu erholen und diese Frau zu vergessen. Ich bezweifle stark, dass sie eine Verwandte von Ihnen ist.«
344
»Was, wenn ich Ihnen sagen würde, dass Hal von Kate gesprochen hat, als er sterbend in meinen Armen lag?«
William wurde blass.
Jill sprang auf. »Verzeihen Sie.« Sie hatte den armen, gemarterten Mann nicht mit einem weiteren schrecklichen Bild quälen wollen. »Es tut mir Leid«, sagte sie. »Dass ich Sie so belästigt habe.«
Sichtlich erschüttert sah William sie an. Schließlich sagte er heiser: »Ich muss Sie bitten, zu gehen.« Er schritt durch die geräumige Bibliothek zur Tür. Jill hatte keine Wahl, als ihm zu folgen.
Aber an der Tür schien er sich zusammenzureißen.
Etwas von seiner kräftigen Gesichtsfarbe war zurückgekehrt. »Danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben«, sagte er höflich. »Einen schönen Tag noch.«
Jill war verblüfft. »Danke.«
Sie folgte dem Diener hinaus und dachte über ihre Unterhaltung nach. William Sheldon wusste nichts.
Wenn doch, war es mit ihrer Menschenkenntnis nicht weit her. Sie wünschte, sie hätte ihn nicht aus der Fassung gebracht, aber sie hatte nach Kate fragen müssen. Doch wie sollte sie nun die Briefe finden?
Dieses Haus stand ganz
oben auf ihrer Liste wahrscheinlicher Verstecke.
Sie fragte sich, ob sich Alex offen gegen seinen 345
Onkel stellen würde, um ihr zu helfen.
Wahrscheinlich nicht.
Der Flur war endlos lang. Als sie sich der Eingangshalle näherte, hörte sie Frauenstimmen; eine davon erkannte sie als Laurens. Obwohl Hals Schwester gestern Abend sehr freundlich zu ihr gewesen war, wurde Jill nervös und zwang sich, nicht an William und die Briefe zu denken.
Als Jill das Foyer betrat, drehte Lauren sich um und entdeckte sie. Sie riss die Augen auf. Bei ihr war Marisa Sutcliffe.
Die beiden Frauen starrten Jill an, und in diesem Augenblick wusste Jill, dass sie hier nur ein Eindringling war - und einer aus der Unterschicht noch dazu.
Plötzlich kam Marisa mit ausgestreckter Hand und einem festen Lächeln auf sie zu. »Sie sind Jill Gallagher«, sagte sie.
Jill war überrascht. »Ja, das bin ich.«
»Marisa Sutcliffe«, sagte sie, die Hand immer noch ausgestreckt. Jill ergriff sie langsam und widerstrebend. Sie tauschten einen knappen Händedruck. Marisa musste sie verabscheuen. Jedes andere Gefühl wäre undenkbar. Also was sollte das?
Eine Demonstration guter Manieren?
»Welch eine Überraschung«, unterbrach Lauren Jills Gedankengang, während Marisa nur Zentimeter 346
von Jill entfernt stand und sie genauso unter die Lupe nahm wie Jill Marisa. »Hallo, Jill.«
Jill entschied rasch, ihr so wenig wie möglich zu erzählen und sich so bald wie möglich zu verabschieden. »Guten Morgen, Lauren. Ich wollte gerade gehen. « Sie rang sich ein Lächeln ab und ging weiter.
»Warten Sie.«
Jill erstarrte bei Marisas Flehen. Denn es war ein Flehen.
»Bitte«, sagte Marisa.
Jill drehte sich ernst und angsterfüllt zu ihr um.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte Marisa mit einem kurzen, matten Lächeln. »Das hier ist verdammt unangenehm. Aber ...bevor Hal gestorben ist. Hat er noch etwas gesagt ...irgendetwas?«
Jills Herz krampfte sich zusammen. Was fragte Marisa da? Sie konnte doch von Hals letzten Worten nichts wissen! »Ich bin nicht sicher, was Sie meinen.«
»Marisa, tu das nicht«, sagte Lauren mit weicher, besorgter Stimme - ein Ton, den Jill noch nie von ihr
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