Katharina von Medici (German Edition)
ironisch und dessen Unterlippe voll genug war, um die schönsten Herzenseigenschaften vermuten zu lassen. Die dieser Stirne eingeprägten Falten, deren Jugend durch fürchterliche Sorgen zerstört worden war, flößten ein lebhaftes Interesse ein. Die durch die Zwecklosigkeit der Bartholomäusnacht verursachten Gewissensbisse hatten dort mehr denn eine hervorgerufen. Doch auch zwei andere Falten waren auf seinem Gesichte eingeprägt; sehr beredt wären die für einen Weisen gewesen, dem ein besonderes Genie erlaubt haben würde, die Elemente der modernen Physiologie zu erraten. Diese beiden Falten riefen eine kräftige Furche hervor, die von jedem Backenknochen nach dem Mundwinkel führte und die übermäßige innere Anstrengung eines erschöpften Organismus verrieten, die Arbeit der Gedanken und die wilden Vergnügungen des Körpers zu leisten. Karl der Neunte war völlig erschöpft. Wenn die Königin-Mutter ihr Werk sah, hätte sie sich Gewissensbisse machen müssen, falls die bei Menschen, die unter dem Purpur sitzen, nicht erstickt würden. Wäre Katharina, wenn sie sich vorher der Wirkungen ihrer Intrigen auf ihren Sohn bewußt gewesen, etwa vor ihnen zurückgeschreckt? Welch furchtbares Schauspiel! Dieser so kraftvoll geborene König war schwach geworden, dieser so gediegene Geist lebte voller Zweifel: der Mann, in dem die Autorität thronte, fühlte sich schutzlos; ein so fester Charakter besaß nicht das mindeste Selbstvertrauen. Kriegerische Kraft hatte sich allgemach in Wildheit, Verschwiegenheit in Heuchelei verwandelt; die erlesene und zarte Liebe der Valois verkehrte sich in unstillbare Liebesraserei. Dieser verkannte, verdorbene, in tausend Seiten seiner schönen Seele abgestumpfte Mensch, ein machtloser König, der ein edles Herz besaß, keinen Freund hatte und von tausend Plänen hin und her gezerrt ward, zeigte das traurige Bild eines vierundzwanzigjährigen Mannes, der von allem enttäuscht, jedwedem mißtraut und entschlossen ist, mit allem, selbst mit dem Leben zu spielen. Seit kurzer Zeit hatte er seine Mission begriffen, war sich seiner Macht, ihrer Hilfsquellen und der Hindernisse klar geworden, die seine Mutter dem Frieden des Reiches in den Weg stellte; dies Licht aber brannte in einer zerbrochenen Lampe.
Zwei Männer, die dieser Fürst bis zu dem Grade liebte, daß er den einen der Metzelei der Bartholomäusnacht entzogen und bei dem anderen in dem Momente gespeist hatte, wo seine Feinde ihn anklagten, Karl den Neunten vergiftet zu haben, sein Leibarzt Johann Chapelain und sein Leibchirurg Ambrosius Paré, von Katharina entboten und in aller Hast aus der Provinz herbeigeeilt, fanden sich dort um die Schlafensstunde ein. Beide betrachteten ihren Herrn voller Besorgnis. Einige Höflinge befragten sie mit leiser Stimme; die beiden Gelehrten aber wogen ihre Antworten ab, indem sie das Todesurteil verheimlichten, welches sie gefällt. Von Zeit zu Zeit riß der König seine trägen Augenlider auf und versuchte seinen Höflingen den Blick zu verbergen, den er seiner Mutter zuwarf. Plötzlich erhob er sich jäh und stellte sich vor den Kamin.
»Herr von Chiverni,« sagte er, »warum behaltet Ihr den Titel Kanzler von Anjou und Polen bei? Steht Ihr in unserem oder unseres Bruders Dienst?«
»Ganz gehöre ich Euch, Sire«, antwortete Chiverni, sich verneigend.
»Kommt doch morgen; ich beabsichtige Euch nach Spanien zu schicken, denn seltsame Dinge gehen am Hofe zu Madrid vor sich, meine Herren.«
Der König blickte sein Weib an und warf sich wieder in den Sessel.
»Überall gehen seltsame Dinge vor«, sagte er mit leiser Stimme zum Marschall von Tavannes, einem der Günstlinge seiner Jugendzeit.
Er erhob sich, um den Kameraden seiner Jugendvergnügungen in die Nische des in der Salonecke befindlichen Fensters zu führen, und sagte zu ihm: »Ich bedarf deiner. Bleib als letzter hier. Wissen will ich, ob du für oder gegen mich bist. Spiel nicht den Erstaunten. Ich zerreiße mein Gängelband. Meine Mutter ist die Ursache alles Übels hier. In drei Monaten bin ich entweder tot oder wirklicher König. Bei deinem Leben, schweig! Du hast mein Geheimnis, du, Solern und Villeroy. Wird eine Indiskretion begangen, kommt sie von einem von Euch. Halt dich nicht so in meiner Nähe, geh, mach meiner Mutter den Hof, sag ihr, ich stürbe, und du bedauerst mich nicht, weil ich ein gar zu armseliger Tropf sei.«
Den Arm auf die Schulter seines alten Günstlings gestützt, mit dem er sich, um die Neugierigen zu
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