Katharina von Medici (German Edition)
aber soll man tapfere Arme dazu finden? Die heut morgen abgehaltene Sitzung hat mir alles zum Ekel gemacht: überall Verrat, überall Interessenwirtschaft, alles steht gegeneinander. Ich bin es müde, meine Krone zu tragen, nur noch in Frieden sterben will ich.«
Und er versank wieder in ein finsteres Brüten. »Von allem angeekelt!« wiederholte Marie Touchet schmerzlich, ihres Geliebten tiefe Erstarrung schonend.
Tatsächlich war Karl einer vollkommenen Entkräftung des Körpers und Geistes verfallen, die hervorgerufen durch die Überspannung aller Fähigkeiten und durch die Entmutigung vermehrt worden war. Welche Anhäufung des Unglücks, die Unmöglichkeit eines Triumphes über die Wirren einzusehen, oder der Anblick so vielfacher Schwierigkeiten, daß selbst das Genie davor zurückschreckt! Die Niedergeschlagenheit stand im gleichen Verhältnis zur Höhe, zu der sein Mut und seine Hoffnung sich seit ein paar Monden aufgeschwungen hatten. Danach hatte ihn ein Anfall nervöser Melancholie, welche durch die Krankheit selber hervorgerufen ward, am Ende der langen Ratssitzung befallen, die er in seinem Kabinette abgehalten. Marie sah, daß er einer jener Krisen unterworfen war, in denen alles, selbst die Liebe, schmerzlich und lästig ist. Sie verharrte daher kniend, den Kopf in des Königs Schoß, welcher seine Hand in seiner Geliebten Haar vergraben ließ, ohne sich zu bewegen, ohne ein Wort zu sagen, ohne selbst zu seufzen. Auch sie verharrte so. Karl der Neunte war in der Lethargie der Ohnmacht versunken und Marie in die Betäubung der Verzweiflung des liebenden Weibes, das die Grenzen sieht, die der Liebesmacht gezogen sind.
Eine lange Zeit über verharrten die beiden Liebenden in tiefstem Schweigen. Während einer Stunde blieben sie so, in der jedes Nachdenken eine Wunde schlägt, in der Wolken eines inneren Sturms alles bis auf die Glückserinnerungen verschleiern. Marie hielt sich in etwas für schuldig an dieser beunruhigenden Niedergeschlagenheit.
Nicht ohne zu erschrecken, fragte sie sich, ob die maßlosen Freuden, womit der König sie überfallen hatte, ob die hitzige Liebe, die zu bekämpfen sie nicht die Kraft in sich fühlte, nicht Karls des Neunten Körper und Geist so schwächten.
Im Augenblick, wo sie ihre Augen, die wie ihr Antlitz in Tränen gebadet waren, zu ihrem Geliebten erhob, sah sie in denen des Königs und auf seinen farblosen Wangen gleichfalls Tränen. Solches Einverständnis, das sie bis in den Schmerz hinein vereinigte, bewegte Karl den Neunten so stark, daß er wie ein gepeitschtes Pferd aus seiner Erstarrung auffuhr; er faßte Marie um die Hüften und, ehe sie seinen Gedanken hatte erraten können, hatte er sie auf das Ruhebett niedergelegt.
»Ich will nicht mehr König sein,« sagte er, »nur noch dein Liebster und in Wonne alles vergessen! Glücklich will ich sterben und nicht von des Thrones Sorgen verzehrt.«
Der Ton dieser Worte und das Feuer, welches in Karls des Neunten eben noch erloschenen Augen glühte, bereiteten Marien, statt ihr zu gefallen, fürchterliche Pein. In diesem Augenblicke klagte sie ihre Liebe der Mitschuld an der Krankheit an, an welcher der König starb.
»Ihr vergeßt Eure Gefangenen«, sagte sie, sich jäh erhebend.
»Was kümmern mich diese Menschen? Ich erlaube ihnen, mich zu töten.«
»Wie? Mörder?« fragte sie.
»Sorg dich nicht darum, wir haben sie, liebes Kind! Beschäftige dich nicht mit ihnen, nur mit mir; liebst du mich denn nicht?«
»Sire!« schrie sie.
»Sire?« wiederholte er; Funken sprühten aus seinen Augen. So heftig war die erste Regung des Zorns, den seiner Geliebten unzeitiger Respekt heraufbeschwor. »Du steckst mit meiner Mutter unter einer Decke!«
»Mein Gott!« schrie Marie. Sie blickte auf das Gemälde über ihrem Betschemel, den sie zu erreichen strebte, um dort einige Gebete zu sprechen; »gib, daß er mich versteht!«
»Ach,« fuhr der König mit finsterer Miene fort, »solltest du dir denn etwas vorzuwerfen haben?«
Dann, sie in seinen Armen betrachtend, tauchte er seine Augen in die seiner Geliebten.
»Reden hörte ich von der wahnwitzigen Leidenschaft eines gewissen Entragues zu dir,« sagte er mit verstörter Miene, »und seitdem der Hauptmann Balzac, ihr Großvater, eine Visconti in Mailand geheiratet hat, schrecken die Schufte vor nichts zurück.«
Marie blickte den König mit einer so stolzen Miene an, daß er sich schämte. In diesem Augenblicke ließ sich das Schreien des kleinen Karls von Valois,
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