Katharsia (German Edition)
lustvoll zu massakrieren. Ob Frauen, Greise oder Kinder, sie machen keinen Unterschied. Wie würde sich ihr Leben unter den Kreuzfahrern ändern, hatten sich Ben und seine Freunde gefragt, als das fränkische Heer anrückte, würde es besser oder schlechter sein als unter den Seldschuken? Jetzt weiß Ben die Antwort: Es gibt kein Leben unter ihnen, sie löschen die Bevölkerung der Stadt aus.
Er versucht, einen Blick auf sein Elternhaus zu werfen. Es liegt auf derselben Seite der Straße, auf der er sich befindet. Er wagt es nicht, seinen Kopf allzu weit hinauszustrecken, dennoch kann er Wachen vor dem Eingang ausmachen, ebenfalls Kreuzfahrer, die keinen ihrer blutrünstigen Kumpane an das Haus heranlassen. Es liegt wie eine Insel in all dem Schlachten. Sollten seine Eltern noch am Leben sein?
Er läuft einige Meter zurück in die Gasse, will versuchen, über die Höfe an sein Haus zu kommen. Mit den Fingern in die Ritzen greifend, erklettert er eine Mauer aus Feldsteinen. Dahinter bietet sich ihm ein Bild der Verwüstung. Zerschlagene Möbel, zerfetzte Kleider – alles, was den Plünderern nicht wert war, mitgenommen zu werden, türmt sich hier auf. Ben läuft geduckt auf der Mauer zum nächsten Hof. Er gehört seinem Nachbarn, dem Töpfer. Hier ist alles übersät mit zerbrochenem Tongeschirr. Nur ein Gefäß ist unversehrt. Eine große Vase mit schlankem Hals steht in all dem Chaos, obenauf hat jemand einen blutverschmierten Kopf gestellt. Ben erkennt das Gesicht seiner Nachbarin, der Frau des Töpfers. Er strauchelt und zwingt sich, nicht mehr hinzusehen.
Der nächste Hof gehört zum Haus seines Vaters, dem Goldschmied. Hier herrscht mustergültige Ordnung. Der massive Holztisch mit den Bänken steht unversehrt im Schatten der Pergola. Das Brennholz für den Küchenherd ist sorgfältig gestapelt. Wäre nicht der Lärm des Gemetzels, der von der Straße zu ihm herüber dringt, hätte sich Ben einreden können, er sei auf einem der spielerischen Streifzüge durch die Hinterhöfe, die er schon so häufig mit seinen Freunden unternommen hat.
Geschickt lässt er sich von der Mauer gleiten und nähert sich dem Hintereingang. Langsam drückt er die Tür auf. Plötzlich packt ihn eine Faust und zieht ihn mit brutaler Kraft ins Haus. Es riecht unangenehm nach Männerschweiß. Der Kerl schiebt ihn vor sich her, stößt ihn die Treppe hinauf und befördert ihn schnaufend in den geräumigen Wohnraum, der den größten Teil des Obergeschosses einnimmt. Das Bild, das sich Ben hier bietet, ist so absurd, dass ihm der Unterkiefer herunterklappt. In gemütlicher Runde sitzt sein Vater mit fremden Männern, offensichtlich Kreuzfahrern, zusammen. Der niedrige Tisch, um den drei Diwane gruppiert sind, ist gedeckt mit wertvollem Geschirr. Auf goldenen Platten türmen sich gebackene Fladen. Dazwischen Schalen aus Elfenbein, gefüllt mit getrockneten Früchten. Silberbesteck funkelt im Licht brennender Kerzen, die auf goldene Leuchter aufgesteckt sind. Hinter dem linken Diwan, auf dem sich der Vater niedergelassen hat, steht seine Mutter, festlich gekleidet. Die beiden sehen ihn an, erleichtert, ihn unversehrt vor sich zu sehen. Seinen Eltern gegenüber auf dem rechten Diwan sitzen zwei Männer, ungeschlachte Kreuzfahrer, die mit glänzenden Augen die edlen Dinge auf dem Tisch vor sich betrachten. Einer spielt mit einem silbernen Messer, legt es dann mit betretener Miene sorgfältig zurück an seinen Platz. Es war ein unauffälliges Zeichen, das ihn dazu veranlasste, ein leises Zischen nur. Es kam von dem Mann, der auf dem Diwan in der Mitte sitzt, dem Platz, der sonst dem Vater vorbehalten ist. Die Kleidung des Fremden wirft einen edlen Schimmer und ist rot-gelb gestreift. Bens Herz krampft sich zusammen.
„Ich nehme an, du bist der Sohn des Hauses. Willst du dich nicht zu uns setzen?“, fragt der fränkische Edelmann freundlich. Sein Arabisch ist tadellos. Doch Ben hat ihn nicht verstanden. In seinem Kopf kreisen Fluchtgedanken. Sie hämmern an seine Schädeldecke, machen ihn unfähig, irgendetwas wahrzunehmen. Er kommt erst wieder zu sich, als ihn jemand unsanft auf ein Kissen am Boden drückt. Er sitzt jetzt dem Rot-Gelben gegenüber.
„Was ist mit dir? Bist du taub?“
Der Fremde mustert ihn unverwandt, schnipst dann mit den Fingern.
Flötenmusik ertönt.
Erst jetzt bemerkt Ben seinen Freund Gregor. Er steht im Hintergrund, ein lebendes Skelett, bläst seine Hirtenflöte und sieht Ben mit großen Augen an.
Ach,
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