Kathedrale
Dukat schlicht eine weitere unschuldige und anständige Bajoranerin geschändet. Trotz Dukats Verrat – oder vielleicht weil ihr Kind halb Bajoraner und halb Cardassianer war – waren Mika und ihr Gatte Benyan zu vehementen Befürwortern eines Friedens zwischen Bajor und Cardassia geworden. Sie traten öffentlich auf und hatten erst kürzlich begonnen, regelmäßig gegen ausgewählte Minister zu sticheln.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Yevir, obwohl er bereits eine recht gute Vorstellung davon zu haben glaubte.
»Ich will gleich zur Sache kommen«, sagte sie, griff zwischen ihre Kleiderfalten und schob das Kind behutsam in eine bequemere Position. »Ich bin die Nichte von Vedek Solis Tendren.«
Yevir runzelte die Stirn. Also hatte sie mehr als nur politische Gründe, seinen Hauptrivalen im Rennen um den Posten des Kais zu unterstützen. Vedek Solis hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass auch er die religiöse Führerrolle anstrebte – und das, obwohl er eine neu gebildete Sekte förderte, die der Überzeugung war, Ohalus Ketzerschrift gebe den wahrhaftigen Pfad der Propheten wieder.
Gleichermaßen fasziniert wie skeptisch sagte Yevir: »Ich muss gestehen, dass ich keine Vorstellung habe, was ich für Sie tun kann.«
Sie lächelte. »Vielleicht kann ich ja etwas für Sie tun, Vedek Yevir. Ich schätze, Sie wissen so manches von meiner einstigen Zugehörigkeit zur Sekte der Pah-Geister. Das war nicht die erste Gelegenheit für mich, alternative Religionen zu erkunden.«
»Und ich schätze, Ihre Erfahrungen mit Gul Dukat ließen Sie Ihren Irrweg erkennen.«
Sie lachte, ein angenehmer und kristallklarer Laut. »Mit den orthodoxen Lehren Bajors war ich nie ganz … zufrieden. Obwohl sich mein Onkel redlich bemühte, mich auf den ‚rechten Pfad‘ zurückzuführen. Auch mein Erlebnis mit Dukat hat daran nichts geändert.«
Langsam schüttelte er den Kopf. »Vergeben Sie mir, mein Kind, aber ich kann mir nicht helfen: Dukats Versuch, Sie zu ermorden, war ein Zeichen der Propheten, wie es klarer nicht sein könnte! Es sollte Ihnen zeigen, dass es ein Fehler war, sich der Weisheit unserer Gottheiten zu widersetzen. Vorausgesetzt, Sie glauben noch immer.«
Nun war es an Mika, den Kopf zu schütteln. »Oh, ich glaube , Vedek Yevir. Ich glaube an die Existenz eines Sinns, der mich und mein Leben übersteigt. Daran, dass dort draußen etwas Größeres ist. Doch ich bin mir mittlerweile unsicherer denn je, ob dieses Etwas überhaupt in irgendeiner Weise mit den sogenannten Propheten zusammenhängt.«
Mikas plötzliche Respektlosigkeit erzürnte Yevir, auch wenn er derlei Geschwätz bei Weitem nicht zum ersten Mal hörte. Während der dunkelsten Stunden der Besatzungszeit und selbst danach, als er noch Mitglied der bajoranischen Miliz gewesen war, hatte er mitunter gehört, wie von Schlachten gezeichnete Veteranen und verängstigte Zivilisten die Güte der Propheten infrage stellten. Es hatte ihn nie überrascht. Nun aber, da er zu einem Instrument geworden war, um den Plan der Propheten zu erfüllen, sah er es als seine heilige Pflicht an, Bajors gequälten Seelen zu helfen. Er musste ihnen zeigen, dass allein die Propheten die Quelle aller Hoffnung waren. Er schuldete es jenen, deren Pagh in Unruhe geraten war. Jenen, die durchs Dunkel irrten.
Selbst wenn sie darauf aus waren, einen gefährlichen Ketzer zum nächsten Kai zu küren.
Mika fuhr fort. »Vor einigen Monaten wurden mein Gatte und ich der Prophezeiungen Ohalus gewahr, die ins Komm-Netz geraten waren. Wir lasen sie und begannen, mit anderen Lesern zu sprechen.«
Yevir bemühte sich, seine Oberlippe davon abzuhalten, sich missfällig zu kräuseln. Es gelang ihm nur äußerst bedingt. »Es ist eine Schande, dass Ohalus Ketzerschriften die Worte der Propheten aus so vielen fehlgeleiteten Seelen verdrängt haben.«
»Ohalus Schriften ersetzten die Lehren, mit denen wir alle aufwuchsen, keineswegs. Sie ergänzten sie vielmehr. Sie …«
»Dem ist nicht so, mein Kind«, unterbrach er sie. »Ohalu behauptet, die Propheten seien nicht unsere spirituellen Anführer, sondern schlicht mächtige, rätselhafte Wesenheiten, die wir fälschlicherweise anbeten. Seine sogenannten Prophezeiungen untergraben das Fundament unserer gesamten Kultur! Was sind wir denn ohne unsere göttlichen Propheten? Woher sonst stammen wir? Wonach streben wir?«
Sie sah ihn entschlossen an. »Ich bin überrascht. Sie und mehrere andere Vedeks haben bereits öffentlich alte
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