Kathedrale
gefährlich geworden, um länger Teil der Gemeinschaft zu sein.«
Er rechnete damit, dass Mika wütend auf seine klaren Worte reagierte. So, wie es die Gattin des Abgesandten getan hatte, als er mit ihr über dieses Thema sprach.
Doch Mika schien ausgeglichener zu sein. »Ich verstehe«, sagte sie. »Aber ich musste es versuchen. Andere Versammlungsmitglieder sind vielleicht weniger … unflexibel in ihrer Entscheidung.« Sie erhob sich und schien mit ihrem schlafenden Kind aufbrechen zu wollen. »Vedek Yevir, ich hoffe, die Propheten bringen Sie eines Tages dazu, Kira zu vergeben. Und Ohalus Wahrheit zu erkennen.«
Bevor er reagieren konnte, begann das Kind, zu quengeln. Eine kleine Hand schob sich aus den Kleiderfalten, in denen es eingewickelt lag. Sie war dicklich und von leicht grauer Färbung, die Haut rau und lederähnlich. Von Yevirs Position aus wirkte es fast, als sei der Arm des Kindes aus der Seite der Jevonit-Figur gewachsen.
Auch Yevir stand auf. »Darf ich Ihr Kind sehen, Mika?«
Der gewagte Vorstoß ließ sie die Augen skeptisch zusammenkneifen. Trotzdem gewährte sie ihm, näher zu kommen. Dann nahm sie den Stoff und legte das vom Schlaf gezeichnete Gesicht des Knaben frei. Er war älter, als es ursprünglich den Anschein gehabt hatte: ein Kleinkind, dem Aussehen nach etwa ein Jahr alt. Yevir trat um seinen Tisch herum und berührte das winzige Antlitz. Das Gesicht des Jungen war so grau wie seine Glieder, doch noch etwas an ihm war unerwartet. Auf seiner Nase prangten die bajoranischen Riffel, während die Stirn von eindeutig cardassianischen Merkmalen geprägt war. In ihrer Mitte befand sich ein längliches Oval, das an einen besonders elegant geformten Löffel erinnerte. Die Augen des Jungen waren schwarz wie Kristall und betrachteten den Vedek mit einer Intensität, die Yevirs eigener zu gleichen schien.
Als Yevirs Finger über seine Stirn strichen, ergriff der Junge sie und gab einen fröhlichen Laut von sich. Yevir lächelte überrascht und sah, dass auch Mika lächelte.
Dieses Kind hat Frieden gefunden. Es schlägt eine Brücke zwischen zwei Welten und löst die Spannungen, die wir beide spürten.
Yevirs Gedanken überschlugen sich. Er trat zurück, deutete zur Tür. »Danke, Mika. Ihr Sohn ist wunderschön. Ich werde über Ihre Worte nachdenken. Bitte denken Sie auch über die meinen nach.«
Die junge Frau wandte sich zum Gehen. »Ich denke über die Worte vieler Leute nach, Vedek Yevir. Weisheit und Freiheit erreicht nur, wer seinen Geist zu öffnen versteht.«
Und abermals zitierte sie ihren Onkel. Yevir lächelte. »Gehen Sie mit den Propheten.«
»Sie auch«, erwiderte sie. Dann war sie fort.
Yevir nahm an seinem Tisch Platz und griff sofort nach der goldenen Jevonit-Figur. Sie stammte aus B’hala, wo sie bei Ausgrabungen gefunden worden war. Einer der dort arbeitenden Prylare hatte sie der Gattin des Abgesandten gebracht. Yevir wusste nicht, warum dieser Gegenstand so einen Reiz auf ihn ausübte. Die kleine Statue war eigenartig, ähnelte sie doch kaum den anderen, primitiver wirkenden Kunstobjekten, die die Ausgrabung bisher zutage gebracht hatte. Ihre Augen, wenn auch nur eingeschnitzt, schienen ihre Umgebung tatsächlich zu beobachten. Die Nase war eindeutig bajoranisch, doch auf der Stirn befanden sich höckerartige, narbige Erhebungen. Der elegante Hals der Figur wirkte, als trüge er einen Kopf, der sich für niemanden beugte. Als Yevir sie zum ersten Mal sah, hatte er sich gefragt, ob sie einen seit Jahrtausenden toten bajoranischen Märtyrer oder Heiligen verkörperte, dessen entstelltes Gesicht Zeugnis des Leids ablegte, das er im Namen der Propheten ertragen musste. Doch er erkannte sofort ihre tiefere, subtilere Bedeutung.
Mit der Hand, die eben noch Mikas Kind berührt hatte, strich Yevir nun über das Antlitz der kleinen Figur und war sich mit einem Mal vollkommen sicher, was sie darstellte: die Verschmelzung eines Bajoraners und eines Cardassianers. Die Kombination aus bajoranischen Nasenhöckern und der cardassianischen Stirn war unverkennbar. Und warum waren ihm die dezenten Wülste bisher nicht aufgefallen, die beidseitig am Hals der Gestalt hinabführten? Die Statue stand für ein Kind wie Mikas, eines mit gemischter Herkunft – und doch entstand sie, als eine Union beider Planeten Jahrtausende entfernt war. Bevor beide Völker überhaupt von der Existenz des jeweils anderen wussten.
Wie das Mischlingskind, das er eben berühren durfte – und wie Tora
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