Kathedrale
wusste, dass man selbst große Schrecken überleben konnte. Sie war in ihrem an Tod und Grausamkeiten nicht armen Leben nie derart paralysiert gewesen, wie es die beiden jungen Andorianer zu sein schienen.
Trotz all der Tage, die vergangen waren, hatte es noch keiner von ihnen vermocht, Ro einen halbwegs zusammenhängenden Bericht bezüglich Thriss’ Selbstmord zu geben. Und die offiziellen Unterlagen warteten auf Vervollständigung, Tragödie hin oder her.
Das Leben der verbliebenen Mitglieder von Shars Bündnisgruppe ging weiter. Es musste weitergehen.
»Ließen sie Dr. Tarses zu sich?«, fragte Ro. »Oder haben sie ihre Meinung über die vorgeschlagene Autopsie geändert?«
Phillipa schüttelte den Kopf. »Heute Abend ließen sie Simon rein. Kurz bevor seine Schicht endete. Er war bei ihnen, weil er angeblich nach der Stasiskammer sehen musste, die sie sich aus der Krankenstation geliehen haben. Aber mehr ließen sie ihn nicht tun. Mir öffnen sie nicht einmal die Tür zu ihrem Quartier.«
Shars Quartier , dachte Ro. Der Ort, an dem sich Thriss das Leben genommen hatte. Wo zwei ihrer Seelenverwandten selbst zwei Wochen später noch die Mahnwache hielten. »Halten Sie sie für gefährlich?«, fragte sie und entsann sich des Wahnsinns, den sie in Anichents kalten grauen Augen gesehen hatte, als er sie angriff.
»Wer derart am Boden ist, birgt immer Gefahrenpotenzial – zumindest für sich selbst. Aber wenn es sich dabei um einen Andorianer handelt, sieht es sogar noch schlimmer aus.«
»Anders gesagt ziehe ich die beiden Wachen, die ich vor Shars Quartier postiert habe, besser noch nicht ab.«
Phillipa nickte, wirkte besorgt. »Solange sie im Gang und einige Schritte vom Eingang entfernt bleiben. Wie ich schon sagte, reagieren diese Antennen ganz schön empfindlich – insbesondere auf von Phasern erzeugte EM-Felder. Ich gehe aber davon aus, dass Dizhei und Anichent nicht länger, äh, aufbrausend sind.«
»Wie kommen Sie zu der Annahme?«
»Nun, die beiden haben einander . Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
Ro wollte das glauben, doch sie kannte auch den Drang, das eigene Leid verbreiten zu wollen. Es zu verteilen, als wäre man der Wind und die Trauer nur Nerak -Blumen am Ufer des Flusses Glyrhond. »Vielleicht sollte ich einen weiteren Gesprächsversuch starten«, sagte sie, nahm ihr Padd und trat zur Tür des Sicherheitsbüros.
Phillipa folgte ihr auf den Gang hinaus, die Stirn voller Sorgenfalten. »Das halte ich für keine gute Idee.«
Die Turbolifttür öffnete sich, doch Ro blieb davor stehen. »Haben Sie mir nicht gerade erklärt, die beiden sprächen nicht mit Ihnen, weil Sie ihnen zu viel Einfühlungsvermögen entgegenbringen?«
»Den Vorwurf habe ich noch nie gehört …«
Schweigend traten die Frauen in den Lift, dessen Tür sich hinter ihnen schloss. Es kostete Ro einige Mühe, Phillipas »Sie werden schon sehen«-Miene zu ignorieren.
Sie stand im Habitatring und sah nach links den Gang hinab. Vier Türen entfernt hatte Corporal Hava Station bezogen, die Hand schussbereit am Phaser. Ro sah nach rechts und fand Sergeant Shul Torem in gleichem Abstand auf seinem Posten. Der altgediente Grauschopf wirkte gleichermaßen entspannt wie wachsam.
Ro hingegen griff das Padd, das sie in der Rechten hielt, fester und betätigte die Türklingel. Mit einem Mal wünschte sie sich, sie hätte auch eine Waffe dabei.
»Verschwinden Sie.«
Dizheis Stimme. Selbst durch die Tür aus grauem Duranium erkannte Ro den schroffen Tonfall sofort.
»Verschwinden Sie, wer Sie auch sind.«
»Hier ist Lieutenant Ro«, sagte Ro erleichtert. Immer noch besser als Anichent. »Ich komme in offiziellem Auftrag.«
Eine Pause entstand. Als Dizhei endlich reagierte, klang sie gefasster – aber auch wie jemand, der seine Gefühle nur mühsam beherrschen konnte. »Bitte, Lieutenant. Uns ist derzeit nicht nach Besuch. Anichent und ich melden uns bei Ihnen. Später. Nach Shars Rückkehr.«
Ro war es allmählich leid, dieses Gespräch durch eine Metalltür zu führen. »Shar kehrt erst in einigen Wochen aus dem Gamma-Quadranten zurück. Ich verstehe Ihre Trauer, Dizhei. Und Sie wissen, dass ich die Bestattungsriten Ihres Volkes respektiere. Aber ich habe Routinen zu beachten, Berichte zu vollenden. Diese Dinge erledigt man besser früher als später.«
Die schwere graue Tür blieb so stumm und reglos wie ein steinerner Monolith der Sh’dama-Ära. Nach knapp einer halben Minute brach Ro das Schweigen. »Was hält
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