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Kathedrale

Kathedrale

Titel: Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Mangels
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Anichent denn davon, mit mir zu sprechen? Ich brauche nur ein paar Minuten seiner Zeit.«
    Mehr Schweigen. Ein Gedanke kam Ro in den Sinn. Mit einem Mal fühlte sie sich, als hätte man ihre Wirbelsäule in flüssigen Stickstoff getunkt. Konnte Anichent überhaupt zur Tür kommen? War er vielleicht mehr als nur kontaktscheu?
    »Dizhei? Öffnen Sie die Tür. Bitte. Ich muss wirklich mit Anichent sprechen.«
    Nichts.
    Ro winkte die beiden Wachen zu sich. Schweigend zogen die Männer die Waffen. Es missfiel ihr, dass die Situation sich derart entwickelt hatte, aber sie musste wissen, was hinter dieser metallenen Barriere vorgefallen war. Schnell berührte sie ihren Kommunikator. »Computer, Sicherheitszugang zum Privatquartier von Ensign Thirishar ch’Thane. Autorisierung Ro-Gamma-Sieben-Vier.«
    Die Tür glitt auf, und Ro – gespannt wie ein Bogen – trat ein, dicht gefolgt von Hava und Shul.
    Jenseits der Schwelle war es so warm wie in der Musilla-Provinz während des Sommers. Hohe Luftfeuchtigkeit. Nur das Leuchten zweier hoher, einen scharfen Geruch verbreitender Kerzen riss Löcher in die Schwärze. Hinter dem großen, ovalen Fenster glitzerten zahllose Sterne wie Juwelen auf Nadelspitzen. Zwischen den Kerzen und im Zentrum des Raumes stand eine Bahre, umgeben vom blassblauen Leuchten einer großen Stasiskammer. Auf ihr lag Thriss’ Leichnam. Sie war in ein schlichtes weißes Kleid gehüllt, wie es andorianische Sitte war. Im blassen Schein wirkte sie nahezu lebendig, als schliefe sie nur und könnte jederzeit durch ein zu lautes Auftreten oder eine knarrende Bodenplatte erwachen.
    Wider besseres Wissen bemühte sich Ro um Stille, während sie zu den beiden Gestalten trat, die vor der Bahre knieten. Einen Moment lang stand sie einfach nur hinter ihnen, bis sich ihre Augen an das schwache Kerzenlicht und die flackernden Schatten gewöhnt hatten.
    Dizhei und Anichent sahen aus, als befänden sie sich in tiefer Meditation. Sie wirkten erschöpft, abgemagert. Die schmucklosen andorianischen Gebetsroben hingen an ihren Körpern wie zu weite Segel. Ro konnte nicht beurteilen, ob sie sich noch immer absichtlich Schnittwunden zufügten, wie sie es unmittelbar nach Thriss’ Tod begonnen hatten. Ihre Augen waren geschlossen; die Antennen lagen reglos auf den zerzausten weißen Haaren. Beide Andorianer schienen Ros Anwesenheit nicht zu registrieren, und Ro fragte sich, ob sie wirklich gemeinsam trauerten oder jeder von ihnen in seiner ganz privaten emotionalen Hölle gefangen war.
    Von Phillipa wusste sie ein wenig über andorianische Biologie und Trauerriten. Um sich fortzupflanzen, bedurften diese Wesen aller vier Mitglieder eines Bündnisses. Entsprechend hart traf die Hinterbliebenen der Tod einer Person aus ihrer Gruppe – und führte mitunter zu wahrhaft extremen Trauerbekundungen. Weder Dizhei noch Anichent schien fähig, die verlorene Geliebte ziehen zu lassen und das eigene Leben fortzusetzen. Sie gaben Thriss’ Leichnam ja nicht einmal zur Autopsie frei, gestatteten kein Begräbnis. Zumindest nicht bis alle verbliebenen Bündnispartner sich in vereinter Trauer vor der Verstorbenen versammelt hatten. Das war der Grund, aus dem sie auf Shars Rückkehr pochten. Bis dahin, so wusste Ro, würden sie niemanden sehen wollen und nichts zu sich nehmen außer Wasser.
    Für wie lange? , fragte sie sich.
    Wären die weißen Strubbelhaare, die blaue Haut und die Antennen nicht gewesen, wären Dizhei und Anichent auch als bajoranische Gläubige durchgegangen, die die Propheten um Weisung anflehten. Ro beobachtete die nahezu verbissene Frömmigkeit vieler ihrer Landsleute meist mit Skepsis – und ein wenig Belustigung. Die Ermordung ihres Vaters durch cardassianische Besatzer hatte sie gelehrt, dass frommes Verhalten bessere Resultate erbrachte, wenn man es mit einer Handgranate kombinierte.
    Die Selbstkasteiung, deren Zeugin sie hier wurde, war wie ein Mahnmal der Empfindungen, die die bajoranische Religion mitunter in ihr weckte. Und obwohl sie wusste, wie unsinnig es war, die Sitten einer fremden Kultur anhand denen der eigenen zu beurteilen, kam sie nicht umhin, sich von dem Anblick vor sich zu einer emotionalen Reaktion provozieren zu lassen.
    Zu Wut.
    Ro ließ ihr Padd laut auf einen niedrigen Tisch knallen. In der Stille des Raumes kam das Geräusch einem Donnerschlag gleich. Dizhei zuckte zusammen, als hätte sie jemand geschlagen. Zornig blickte sie sich um und entdeckte Ro.
    Ro hörte Shul und Hava hinter sich

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