Kathedrale
wie bei den Jem’Hadar. Sie war auch nicht anerzogen wie bei den Klingonen. Sie war aus Schmerz geboren.
Schmerz kann ich verstehen.
»Zurück«, sagte sie zu ihren Begleitern. »Und weggetreten.«
Hava ließ sich das nicht zweimal sagen. Einzig Shul dachte einen Moment nach, bevor auch er das Quartier verließ.
»Glauben Sie wirklich, Sie verstehen es jetzt?«, fragte Dizhei, als sie endlich allein waren. Nur Anichent weilte noch bei ihnen, verloren in seinem Rausch. Dizhei stand auf und machte einen Schritt auf Ro zu.
Obwohl Ro sich erfolgreich davon abhielt, zusammenzuzucken, stellte sie sich innerlich doch auf einen Angriff ein. Sie nickte zögerlich. »Er hofft nicht mehr.«
Dizheis Erwiderung bestand aus einem kaum merklichen Kopfschütteln. »Nein«, sagte sie dann. So leise, als fürchtete sie sich davor, vom weggetretenen Anichent gehört zu werden. »Es ist noch grundlegender, Lieutenant. Er glaubt, die Hoffnung selbst existiere nicht länger. Dass Thriss’ Tod ein Omen für unser gesamtes Volk sei.«
»Es gibt immer Hoffnung«, widersprach Ro und zweifelte an ihren eigenen Worten.
»Nicht wenn man so dicht davorsteht, auszusterben.«
Mein Chei riss auch Anichent und Dizhei ins Verderben , hatte zh’Thane gesagt. Ro entsann sich, wie das Ratsmitglied von andorianischen Ehen gesprochen hatte. Dass Andorianer schon von Kindesbeinen an auf ihr Bündnis vorbereitet wurden und als junge Erwachsene nur wenige Jahre Zeit hatten, um Nachkommen zu zeugen. Es dürfte schwer für Anichent und Dizhei werden – wenn nicht gar unmöglich –, einen Ersatz für Thriss zu finden.
Sie sah es so deutlich. Das waren Anichents Worte. Ro ahnte nun, dass er damit blanke, ungeschminkte Verzweiflung gemeint haben musste. Thriss war verzweifelt gewesen – nicht nur wegen sich selbst, sondern wegen ihrer gesamten Welt.
Und dann komme ich und zwinge die beiden ins Verhör. Super gemacht, Laren. Sie fühlte sich, als hätte sie soeben ein hilfloses drathanisches Hündchen getreten.
Dizhei fuhr fort. »Anichent ist überzeugt, dass unsere Spezies ausstirbt. Wegen unseres komplexen Fortpflanzungsprozesses. Ich verrate Ihnen das nur, weil Shar Sie als gute Freundin betrachtet. Er vertraut Ihnen.«
Ro fühlte, wie sich Tränen ankündigten, zwang sie aber zurück. »Das beruht auf Gegenseitigkeit«, sagte sie leise. »Wir haben ein paar Gemeinsamkeiten.« Wir sind beide Außenseiter, die kaum jemanden in ihre Geheimnisse einweihen. Erst recht nicht in ihre Ängste.
Dizheis Antennen entspannten sich wieder. Stumm sah sie Ro an, wartete auf deren nächsten Zug.
»Glauben Sie, Anichent hat recht?«, fragte Ro sanft.
Seufzend schloss die Andorianerin die Augen, sammelte ihre Gedanken. »Manchmal bin ich zumindest geneigt, ihm zu glauben. Aber ich kann es mir nicht erlauben, derartige Gedanken zu hegen. Sonst sind wir verloren – und verlieren selbst die winzige Chance, die uns vielleicht noch bleibt, um Thriss vor Ablauf unserer Zeugungsspanne zu ersetzen.« Sie wirkte, als wären ihre Worte eine Boje, an der sie aus Meerestiefen aufstieg. Mit einem Mal kam ihre Körperhaltung Ro nahezu majestätisch vor.
So ungefähr muss Charivretha zh’Thane vor dreißig Jahren ausgesehen haben.
»Ich werde bei Thriss wachen, bis Shar zurückkehrt«, sagte Dizhei. »So ist es Sitte. Und ich werde bei Anichent wachen, ihm über die Schlucht helfen. Selbst wenn es mich jede Minute jedes einzelnen Tages kostet. Selbst wenn es mich umbringt .«
Ro dachte an die Verzweiflung, die sie in den Gesichtern von Freunden und Familienmitgliedern gesehen hatte. Kaum jemand aus ihrem eigenen Umfeld war je aus derart guten Gründen mutlos gewesen. Diese Andorianer und ihre Bündnisknechtschaft … Für die Mitglieder dieses Volkes stellte die Fortpflanzung den Höhepunkt ihres Daseins dar, ihren Lebenszweck. Wie sollten sie nicht der Hoffnungslosigkeit verfallen, wenn sie diesen Zweck verloren? Obwohl es sonst nicht ihre Art war, sehnte sich Ro nach einem Drink. Oder mehreren.
»Was Ihren Bericht angeht«, sagte Dizhei. Ihre Antennen beugten sich vor, als röchen sie etwas.
Ro schaltete ihr Padd aus und ließ es sinken. Ein Schweißtropfen bahnte sich seinen Weg zwischen ihren Schulterblättern hinab. »Das kann warten«, sagte sie, mit einem Mal überwältigt vom Ausmaß der Last, die Dizhei stemmte – und von Anichents Hoffnungslosigkeit. Polizeiroutinen kamen ihr im Vergleich dazu furchtbar trivial vor. »Bitte vergessen Sie mein Drängen.
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