Kathedrale
Stellung beziehen, doch Dizhei erhob sich nicht. »Ist diese Störung ein Beispiel für das, was wir von Bajor erwarten dürfen, sobald es zur Föderation gehört?«, fragte sie stattdessen, die Worte kaum mehr als ein Zischen. Die Freundlichkeit, die Ro an der Andorianerin zu schätzen gelernt hatte, seit diese vor wenigen Wochen auf die Station kam, war verschwunden.
»Entschuldigen Sie mein Eindringen, Dizhei«, sagte Ro und nahm ihr Padd wieder in die Hand. Dizheis Frage überging sie. »Aber ich hatte Grund zu der Annahme, Anichent sei in Gefahr.«
Dizhei lachte. Ein schroffes Geräusch, in dem kein Humor lag. »Zweifellos weil wir Andorianer so ein gewaltbereites Völkchen sind.«
»Das habe ich nie gesagt«, widersprach Ro. Sie umklammerte das Padd, als wollte sie es erdrücken.
Dizhei senkte den Blick und schien ihre nächsten Worte sorgfältig auswählen zu wollen. »Das mussten Sie nicht, Lieutenant. Sie und ich wissen auch so, dass es so ist.«
Auf einmal hob Anichent den Kopf. Es wirkte, als lastete ein großes Gewicht auf ihm. Kniend sah er zu Ro, die instinktiv die Muskeln anspannte. Ihr Puls beschleunigte sich, und sie hörte, wie der neben ihr stehende Hava keuchte.
»Sie sah es so deutlich«, flüsterte Anichent, und die Mutlosigkeit hinter seinen Worten war nahezu greifbar. »Deutlicher als wir alle es je sehen könnten.«
Ro wusste, dass er von Thriss sprach. »Was sah sie?«
Bevor Anichent antworten konnte, verbot ihm Dizhei mit einem schroffen Wort auf Andorii den Mund. Sofort senkte er den Kopf und schloss wieder die Augen, als würde er beten oder meditieren.
Dizhei starrte derweil zu Ro. »Ihre Männer können die Waffen sinken lassen«, sagte sie leise. »Anichent kann sich kaum rühren, geschweige denn jemanden attackieren.«
»Bleiben Sie wachsam«, wies Ro Shul an, der bestätigend grunzte. Dann wandte sie sich wieder an Dizhei. »Ich will nicht taktlos erscheinen, aber ohne Autopsie muss ich Thriss’ engste verfügbare Familienmitglieder um ihre Aussagen bitten. Ratsmitglied zh’Thane zählt nicht zu dieser Gruppe, aber Sie beide als Bündnispartner schon. Bedaure, aber nur so kann ich den Fall offiziell abschließen. Geben Sie mir zehn Minuten. Dann verschwinden wir und belästigen Sie nie wieder.«
Dizhei wirkte gleichermaßen ungläubig wie zornig. »Haben Sie momentan nichts Besseres zu tun, als uns zu stören?«
»Ehrlich gesagt, doch«, antwortete Ro. Allmählich drohte ihr eigener Groll, die Oberhand über sie zu gewinnen. »Diese Station wird in den nächsten Tagen voller VIPs der Föderation und Bajors sein. Ich muss die offizielle Vertragsunterzeichnung organisieren, und das kommt einem sicherheitstechnischen Albtraum gleich. Ich kann es mir nicht leisten, einen Fall wie diesen offen zu lassen. Nicht angesichts all der anderen Baustellen.«
»Verstehe.« Dizheis eisblaue Augen sahen sie an. Die Antennen beugten sich vor, als suchten sie nach etwas, das sie aufspießen konnten.
Ro schluckte ihren Zorn hinunter und hob die Hand. »Hören Sie. Ich weiß, wie schwer das alles für Sie ist. Aber zwei Wochen sind sicherlich Zeit genug, um …«
»Zeit«, wiederholte Anichent nuschelnd und hob langsam den Kopf. »Was bedeutet Zeit noch, wenn die Zukunft nicht länger existiert?«
Ro trat zu ihm. Kerzenlicht spiegelte sich flackernd in seinen grauen Augen. Den optimistischen Intellektuellen, den sie vor wenigen Wochen kennengelernt hatte, gab es nicht mehr. Dieser Anichent war eine Hülle. Ein Wiedergänger, ausgehöhlt und leer.
»Sie haben ihm etwas gegeben«, sagte sie zu Dizhei. Es war keine Frage. »Ein Medikament.«
Die Andorianerin nickte. »Um sein Leben zu retten.«
»Wir müssen ihn zur Krankenstation bringen.«
»Nein. Ich kenne mich mit andorianischer Pharmazie besser aus als Ihr Dr. Tarses. Anichent ist bei mir sicherer aufgehoben. Hier kann ich ihn im Auge behalten.«
Und plötzlich begriff Ro. Anichent war bei ihr tatsächlich besser dran – an einem Ort, wo er nicht Gefahr lief, zu unpassender Zeit aus seinem Rausch zu erwachen. Einem Ort, an dem er nicht der Versuchung nachgeben konnte, sich willentlich in den Rachen des Todes zu werfen. Mit einem Mal kam ihr ein Konzept in den Sinn, dem sie einst in einer Geschichtsstunde an der Sternenflottenakademie begegnet war.
Selbstmord durch Polizeibeschuss.
Ros Zorn verflog, während sie über die wahrscheinliche Quelle der andorianischen Aggressivität nachdachte. Sie entsprang keinem inneren Trieb
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