Kathedrale
genetischen Aufwertung.«
»Ich kann es mir selbst nicht erklären«, sagte er nickend, »aber irgendwie führte unsere Begegnung mit dem Objekt dort draußen zu einer Rückentwicklung meiner Gene.«
Sie schien nachzudenken. Schließlich sagte sie: »Klingt verrückt, aber es passt. Wenn man so will, entwickeln Nog und ich uns auch zurück. Er ist wieder ganz der zweibeinige Ferengi und ich die unvereinigte Trill, die ich war, bevor mich die Destiny mit Dax zusammenbrachte. Und du wirst …« Sie brach ab.
Der langsame, ungeschickte, koordinationslose, dumme Jules Bashir , dachte er. Der Junge, der seinen törichten Eltern eine so große Enttäuschung war …
»Vielleicht solltest du dir deine Pause sparen, Julian. Wenn du wirklich so schnell abbaust, wie du vermutest, brauchen wir dich jetzt bei der Suche nach einer Heilung für …«
Er unterbrach sie. »Ezri, ich weiß nicht einmal, ob ich in Höchstform eine Lösung für unser Problem finden könnte.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und setzte ein Lächeln auf, von dem er wusste, dass es falsch war. »Aufzugeben passt nicht zu dir, Julian. Die persische Armee ist doch noch nicht einmal in Sicht.«
»Ich gebe nicht auf. Ich will dir nur klarmachen, dass das Heilmittel – sofern es überhaupt existiert – nicht aus meiner Krankenstation kommen wird. Sondern aus dem Inneren des Objektes, das für den ganzen Schlamassel verantwortlich ist.«
Ihr schien seine Müdigkeit nicht zu entgehen. »In Ordnung, Julian. Dann ruh dich aus. Ich informiere Commander Vaughn über das, was du mir gesagt hast. Falls es in diesem Objekt eine Rettung gibt, werden wir sie finden. Das schwöre ich dir!«
Er dankte ihr, verabschiedete sich – und verirrte sich prompt auf dem Weg zu dem Quartier, das er sich mit Ezri teilte. Nachdem er seine Orientierung wiedererlangt hatte, erreichte er es, schloss die Tür hinter sich und legte sich auf die schmale Pritsche. Was genau stand ihm bevor? Die Transformation vom gebildeten, erfahrenen und nahezu übermenschlichen Julian Bashir zum langsamen, ungeschickten Jules.
Jules.
Schon in Kindertagen hatte er diesem Namen abgeschworen, wie seine Eltern ihm abgeschworen hatten, indem sie ihn im Alter von sechs Jahren der illegalen Überarbeitung seiner DNA unterzogen. Was immer Jules im Leben erreicht hätte, war von dem Moment an unwichtig gewesen. Nicht mehr als ein unbeschrittener Weg in den Schatten. Nicht mehr als ein Spiegeluniversum, zu dem man keinen Zugang erhielt.
Nach Adigeon Prime waren Jules frustrierende Lernschwächen nach und nach verschwunden, bis sie nur noch in einem obskuren Winkel einer mit Brettern zugenagelten Kammer von Julians mentaler Hagia Sophia existierten – als Fußnote der Erinnerung. Denn der junge Julian – neu, wenn schon nicht neugeboren – übertraf sein früheres Ich intellektuell, schulisch und körperlich. Einzig im Geiste waren die Zweifel geblieben. Immer wieder hatte er sich wie etwas Künstliches gefühlt. Ersatz für ein Kind, das den hohen Erwartungen seiner Eltern nicht entsprochen hatte.
Niemand konnte abstreiten, dass er genau das war.
Julian erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem er seine Eltern damit konfrontiert hatte. Drei kurze Jahre war das erst her. Aufgrund seiner illegalen genetischen Aufwertung hatte ihm die Entlassung aus der Sternenflotte gedroht, und er hatte sich gewünscht, Richard und Amsha Bashir hätten ihn nie nach Adigeon Prime gebracht, sondern stattdessen der Natur ihren Willen gelassen, damit Jules einfach Jules sein konnte.
Der Wunsch von einst schien endlich wahr zu werden – und das erschreckte Julian zutiefst. Er erkannte nun, dass er diesem Wunsch seine Fähigkeiten und seine Erfahrung opfern musste; all die Dinge, die er seit über drei Jahrzehnten für selbstverständlich hielt. Er verlor zwar, wovor er sich einst sogar gefürchtet hatte, aber plötzlich wusste er, dass ihm genau das Wert verlieh.
Was er verlieren würde, war nicht weniger als sein Ich.
Bashir schloss die Augen, doch statt Schlaf suchte er eine kopfsteingepflasterte Straße Istanbuls, von wo aus eine steinerne Treppe zur Hagia Sophia hinaufführte. Einen Moment lang stand er reglos vor seiner Erinnerungskathedrale. Er fürchtete sich vor dem, was ihn in ihrem Inneren erwarten mochte. Aber er wusste, dass er sich den Schäden stellen würde, komme was wolle.
Als er eintrat, rechnete er fest damit, die Gänge und Kammern im Chaos wiederzufinden – und gähnend leer.
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