Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
Gepäck unterwegs.“
„Helene, du bist doch sehr viel klüger als ich“, sagte die Zarin und lächelte. „Ich hätte ahnen sollen, welchen Weg deine anderen Briefe genommen haben - die, die ich nicht beschlagnahmen konnte.“
„Beschlagnahmen!“ rief die Äbtissin und sah, wie Katharina ihren Läufer vom Brett nahm. „Nichts Wichtiges“, sagte die Zarin, „aber nun hast du dein Vertrauen in mich zur Genüge unter Beweis gestellt, indem du mir diesen Brief gezeigt hast, und vielleicht gehst du noch einen Schritt weiter und erlaubst mir, dir zu helfen, wie ich es dir von Anfang an angeboten habe. Obwohl ich vermute, daß nur Genets Ausweisung diesen Vertrauensbeweis bewirkt hat, bin und bleibe ich deine Freundin. Ich möchte das Montglane-Schachspiel. Ich muß es haben, bevor es in sehr viel skrupellosere Hände als meine fällt. Durch dein Kommen hast du dein Leben in meine Hand gegeben, aber bis jetzt hast du mich nicht in dein Wissen eingeweiht.
Warum sollte ich deine Briefe nicht beschlagnahmen, wenn du mir nicht vertraust?“ „Wie kann ich dir soweit Vertrauen?“ rief die Äbtissin erregt. „Glaubst du, ich habe keine Augen im Kopf? Du hast einen Vertrag mit Preußen, deinem Feind, über eine neue Teilung Polens, deines Verbündeten, geschlossen. Tausend Feinde trachten dir nach dem Leben, auch an deinem Hof. Du mußt doch wissen, daß dein Sohn Paul auf seinem Landsitz in Gatschina Truppen in preußischen Uniformen drillt und einen Umsturz plant. Jeder Zug in deinem
gefährlichen Spiel deutet darauf hin, daß du das Montglane-Schachspiel haben möchtest, um es für deine eigenen Zwecke zu nutzen, für deine - Macht! Woher soll ich wissen, daß du mich nicht ebenso verrätst wie so viele andere? Und obwohl du vielleicht auf meiner Seite stehst - wie ich gerne glauben möchte -, was würde geschehen, wenn ich das Schachspiel hierherbringe? Selbst deine Macht, liebe Sophie, reicht nicht über das Grab hinaus. Wenn du sterben solltest, dann wage ich mir nicht vorzustellen, was dein Sohn Paul tun würde!“ „Paul brauchst du nicht zu fürchten“, erwiderte die Zarin geringschätzig und schnaubte, als die Äbtissin durch eine große Rochade ihrem König Schach bot. „Seine Macht bleibt auf die lächerlichen Truppen begrenzt, die er in den albernen preußischen Uniformen marschieren läßt. Nach meinem Tod wird mein Enkel Alexander Zar, und er wird in meine Fußstapfen treten -“
Die Äbtissin legte schnell den Finger auf ihre Lippen und deutete mit dem Kopf zu einem Vorhang am anderen Ende des Raums. Die Zarin drehte den Kopf, erhob sich geräuschlos, und beide blickten unverwandt auf den Vorhang, während die Äbtissin weitersprach. „Oh, ein interessanter Zug“, sagte sie, „und er bringt Probleme...“
Die Zarin lief schnell durch den Raum. Mit einer einzigen Handbewegung riß sie den Vorhang zur Seite. Vor ihr stand Kronprinz Paul und wurde vor Verlegenheit dunkelrot. Er sah seine Mutter mit offenem Mund an und blickte dann zu Boden. „Mutter, ich wollte Euch gerade besuchen ...“, stammelte er, wagte aber nicht, ihr in die
Augen zu blicken, „ich meine, Majestät, ich wollte ... die Ehrwürdige Mutter, die Äbtissin, in einer Angelegenheit -“ Er fingerte nervös an den Knöpfen seines Rocks. „Wie ich sehe, bist du so schlagfertig wie dein verstorbener Vater“, unterbrach sie ihn schneidend. „Wenn ich mir vorstelle, daß ich einen Kronprinzen geboren habe, dessen größtes Talent darin besteht, hinter Vorhängen zu stehen und zu lauschen! Geh mir aus den Augen! Dein Anblick ist mir ein Greuel!“
Sie drehte dem Kronprinzen den Rücken zu, aber die Äbtissin sah den bitteren Haß in seinem Gesicht. Katharina spielte ein gefährliches Spiel mit diesem Jungen. Er war keineswegs der Dummkopf, den sie in ihm sah. „Ich bitte die Ehrwürdige Mutter und Eure Majestät, die äußerst ungelegene Störung durch mich zu entschuldigen ‘, sagte er leise. Dann verneigte er sich tief vor dem Rücken seiner Mutter, trat einen Schritt zurück und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Die Zarin schwieg, blieb aber in der Nähe der Tür stehen. Ihre Augen richteten sich starr auf das Schachbrett.
„Wieviel, glaubst du, hat er gehört?“ fragte sie schließlich und las damit die Gedanken der Äbtissin.
„Wir müssen davon ausgehen, daß er alles gehört hat“, erwiderte die Äbtissin. „Wir müssen auf der Stelle handeln.“
„Was? Nur weil ein dummer Junge
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