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Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Katherine Neville - Das Montglane-Spiel

Titel: Katherine Neville - Das Montglane-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malaxis
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Haus stehen. Er betrachtete es lange. Es war wie die anderen Häuser verputzt, aber etwa doppelt so breit mit einem Balkon auf der Vorderseite. Eine Frau stand auf dem Balkon und klopfte Teppiche. Sie hatte dunkle Haut und trug ein buntes Kleid. Neben ihr saß ein kleines Mädchen mit goldblondem Haar in einem weißen Kleidchen und einer Schürze. Man hatte der Kleinen dünne Zöpfe geflochten, die in offenen Locken endeten. Als das Mädchen uns entdeckte, lief es herunter auf die Straße und auf mich zu.
Kamel rief etwas zu der Mutter hinauf, die ihn einen Moment schweigend ansah. Als sie mich bemerkte, lächelte sie und entblößte dabei mehrere goldene Zähne. Dann verließ sie den Balkon.
„Das ist das Haus von El-Marad“, sagte Kamel. „Diese Frau ist seine Hauptfrau. Das Kind ist ein Nachkömmling. Die Frau wurde schwanger, als man glaubte, sie sei schon lange unfruchtbar. Man sieht darin ein Zeichen Allahs - das Kind ist ‘auserwählt’.“
„Wieso wissen Sie das alles, wenn Sie seit Jahren nicht mehr hier waren?“ fragte ich. „Das Kind ist doch höchstens fünf.“ Kamel nahm das Mädchen bei der Hand und sah es liebevoll an. Dann gingen wir zum Haus.
„Ich habe die Kleine noch nie gesehen", gestand er. „Aber ich lasse mich über alles informieren, was in meinem Dorf geschieht. Die Geburt des Kindes war ein großes Ereignis. Ich hatte ihr etwas mitbringen sollen, schließlich ist das Mädchen kaum dafür verantwortlich, was ich ihrem Vater gegenüber empfinde.“
Ich kramte in meiner Tasche. Vielleicht hatte ich etwas, was der Kleinen gefallen würde. Eine der Plastikfiguren von Lilys Steckschachbrett fiel mir in die Hand - die weiße Dame. Das Figürchen sah wie eine winzige Puppe aus. Ich schenkte es dem Mädchen, das zu seiner Mutter rannte, um ihr das Spielzeug zu zeigen. Kamel lächelte mir zu.
Die Frau trat aus der Haustür und bat uns einzutreten. Sie hielt die Schachfigur in der Hand und sprach arabisch mit Kamel. Mich sah sie dabei mit leuchtenden Augen an. Vielleicht stellte sie ihm Fragen über mich, denn manchmal berührte sie mich leicht.
Kamel sagte etwas zu ihr, und sie verschwand.
„Ich habe sie gebeten, ihren Mann zu holen“, erklärte er. „Wir können uns in den Laden setzen und dort warten. Eine seiner Frauen wird uns Kaffee bringen.“
Der Teppichladen war ein großer Raum, der fast das ganze untere Stockwerk einnahm. Überall lagen Stapel zusammengefalteter oder zusammengerollter Teppiche; Teppiche lagen ausgebreitet einen Meter hoch übereinander, andere hingen an den Wänden und über dem Geländer des inneren Balkons. Wir setzten uns mit gekreuzten Beinen auf Schilfmatten. Zwei junge Frauen erschienen. Die eine trug auf einem runden Tablett einen Samowar mit Tassen, die andere ein Gestell für das Tablett. Sie richteten alles zurecht und schenkten uns Kaffee ein. Wenn sie mich ansahen, kicherten sie und schlugen schnell die Augen nieder. Als sie uns versorgt hatten, huschten sie davon.
„El-Marad hat drei Frauen“, erzählte mir Kamel. „Unser Glaube erlaubt vier Frauen, aber in seinem Alter wird er wohl kaum noch eine Frau nehmen. Er muß ungefähr achtzig sein.“
„Wie viele Frauen haben Sie?" fragte ich.
„Das Gesetz schreibt vor, daß ein Minister nur eine Frau haben darf“, erwiderte Kamel, „also muß ich etwas vorsichtiger sein.“ Er lachte, wirkte dabei aber immer noch ernst. Der Besuch hier fiel ihm offensichtlich nicht leicht.
„Die Frauen scheinen etwas an mir komisch zu finden. Wenn sie mich ansehen, fangen sie an zu kichern“, bemerkte ich, um ihn abzulenken.
„Vielleicht haben sie noch nie eine Amerikanerin gesehen“, antwortete Kamel, „aber ganz bestimmt noch keine Frau, die eine Hose trägt. Vermutlich würden sie Ihnen gerne viele Fragen stellen, getrauen sich aber nicht.“
In diesem Augenblick teilte sich der Vorhang unter dem Balkon, und ein großer, eindrucksvoller Mann betrat den Raum. Er war über einen Meter achtzig groß, hatte eine lange, spitze, wie ein Falkenschnabel gebogene Nase, unter dichten Augenbrauen durchdringende schwarze Augen und lange schwarze Haare mit weißen Fäden. Er trug einen langen, rot-weiß gestreiften Kaftan aus feiner, weicher Wolle. Er bewegte sich energisch und wirkte eher wie ein Fünfzigjähriger. Kamel stand auf, um ihn zu begrüßen. Sie küßten sich gegenseitig auf die Wangen und berührten mit den Fingern Stirn und Brust. Kamel sagte ein paar Worte auf arabisch, und der Mann wandte sich mir zu.

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