Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
du uns?“ flüsterte ich mit trockener Kehle.
„Folgen Sie mir“, sagte er und verschwand in einem dunklen Mauerdurchgang. Wir erreichten eine schwere Holztür, und Wahad zog an einem Seil, das neben der Tür hing. Lange Zeit geschah nichts. Plötzlich erschien das Gesicht eines Mannes hinter einem Guckloch. Er sah Wahad stumm an. Dann fiel sein Blick auf Lily und mich. Wahad murmelte etwas, und dann hörte ich deutlich, wie er flüsterte:
„Mochfi Mochtar... ich bringe ihr die Frau.“
Die Holztür öffnete sich knarrend, wir traten ein und standen in einem ummauerten Innenhof, der wie ein kleiner Park angelegt war. Der Boden war mit glasierten Kacheln in verschiedenen Mustern belegt, die sich nicht zu wiederholen schienen. Unter Bäumen und Büschen plätscherte Wasser aus kleinen Brunnen. Vögel zwitscherten und flatterten in dem von Sonnenflecken durchbrochenen Halbdunkel. An der Rückseite rankten sich um Terrassentüren blühende Kletterpflanzen. Hinter dem Glas sah ich ein luxuriös eingerichtetes Zimmer mit marokkanischen Teppichen, chinesischen Vasen und kunstvollen Gegenständen aus Leder und Holz.
Wahad verschwand durch ein Tor in unserem Rücken. Lily fuhr herum und rief; „Laß den Kerl nicht entwischen, wir finden hier nie wieder raus!“
Aber er war bereits weg. Von dem Mann, der uns eingelassen hatte, war ebenfalls nichts mehr zu sehen. Wir standen allein in dem schattigen Innenhof. In die kühle Luft mischte sich der Duft von Blüten und exotischen Gewächsen,
Plötzlich, bemerkte ich eine Silhouette hinter der Glastür. Sie verschwand sofort wieder hinter dem dichten Jasmin und einem zartblauen Blütenteppich. Lily umklammerte meine Hand. Wir wichen zu einem der Brunnen unter das schützende Blätterdach eines Baums zurück und beobachteten mit angehaltenem Atem, wie sich uns eine Gestalt durch einen Bogengang näherte. Es war eine schlanke, schöne Frau; ihre weichen Haare umflossen das halb verschleierte Gesicht wie silberne Flügel.
Als sie uns ansprach, klang ihre Stimme so sanft und kühl wie das Wasser, das über die Steine floß.
„Ich bin Minnie Renselaas“, sagte sie und stand wie eine Fee vor uns. Aber noch bevor sie den undurchsichtigen silbernen Schleier vor ihrem Gesicht hob, wußte ich: Das ist die Wahrsagerin.
PARIS 10. Juli 1793
Mireille stand im Schatten der Kastanienbäume vor dem Tor zu Jacques-Louis Davids Hof und blickte durch das Eisengitter. In dem langen schwarzen Haik und dem Schleier vor dem Gesicht wirkte sie wie eines der Modelle für die exotischen Bilder des Malers. Hauptsache war, daß niemand sie in diesem Aufzug erkannte. Staubig und erschöpft von der anstrengenden Reise zog sie am Klingelzug und hörte die Türglocke innen läuten.
Vor weniger als sechs Wochen hatte sie den beschwörenden und mahnenden Brief der Äbtissin erhalten, der so lange gebraucht hatte, um sie zu erreichen. Er war zuerst nach Korsika gekommen, und von dort hatte ihn die alte Großmutter Angela-Maria di Pietra-Santa unverzüglich weitergeschickt, denn sie war als einzige von Elisas und Napoleons Familie nicht von der Insel geflohen.
Der Brief befahl Mireille, sofort nach Frankreich zurückzukehren:
Als ich die Nachricht von Deiner Abreise von Paris erhielt, fürchtete ich nicht nur um Dich, sondern auch um das Schicksal dessen, was Gott Deiner Obhut anvertraut hat - eine Verantwortung, der Du Dich entzogen hast. Ich denke mit Verzweiflung an Deine Schwestern, die vielleicht hilfesuchend in diese Stadt geflohen sind, und Du warst nicht da, um ihnen beizustehen. Du verstehst, was ich meine. Ich erinnere Dich daran, daß wir mächtige Gegner haben, die vor nichts zurückschrecken, um ihr Ziel zu erreichen - sie haben sich vereint, während wir von den Stürmen des Schicksals erfaßt und auseinandergetrieben wurden. Die Zeit ist gekommen, um wieder die Zügel in unsere Hände zu nehmen, das Geschick zu unseren Gunsten zu wenden und wieder zusammenzubringen, was das Schicksal getrennt hat.
Ich möchte, daß Du schnellstens nach Paris zurückkehrst. Auf meine Veranlassung sucht jemand nach Dir, den Du kennst und der genaue Anweisungen für Deine gefährliche Mission hat. Mein Herz trauert mit Dir um Deine geliebte Cousine. Möge Gott Dir bei Deiner Aufgabe beistehen.
Der Brief trug kein Datum und keine Unterschrift. Mireille erkannte die Handschrift der Äbtissin, aber sie wußte nicht, wann der Brief geschrieben worden war. Der Vorwurf, sich der Verantwortung entzogen zu haben, traf
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