Katherine Neville - Das Montglane-Spiel
helfen kannst. Offenbar findet ein Schachspiel statt, bei dem andere am Ziehen sind. Ich habe keine Ahnung, wie man Schach spielt, aber du bist Schachmeisterin. Ich muß klarsehen, wenn ich diese Figuren finden will.“
„Das kann doch nicht dein Ernst sein“, sagte Lily. „Du meinst ein Schachspiel mit Menschen als Figuren? Und wenn jemand umgebracht wird - dann ist das wie eine Figur, die man vom Brett nimmt?“
Sie ging ins Wohnzimmer. Ich folgte ihr mit dem Wein und den Gläsern. Das Essen schien sie vergessen zu haben.
„Weißt du“, sagte sie und lief im Zimmer auf und ab, „wenn wir herausfinden, wer die Figuren sind, müßte es ein leichtes sein, hinter alles zu kommen. Ein Blick auf ein Schachbrett mitten in einem Spiel genügt mir, um die vorausgegangenen Züge zu rekonstruieren. Wir können zum Beispiel mit Sicherheit annehmen, daß Saul und Fiske Bauern waren...“
„Du und ich auch“, sagte ich. Lilys Augen funkelten wie bei einem Jagdhund, der einem Fuchs auf der Fährte ist.
„Llewellyn und Mordecai könnten höhere Figuren sein -“
„Und auch Hermanold“, warf ich ein. „Übrigens hat er auf deinen Wagen geschossen!“
„Wir dürfen Solarin nicht vergessen“, sagte sie. „Er ist bestimmt einer der Spieler. Hör zu, wenn wir alle Ereignisse noch einmal sorgfältig durchdenken, werde ich vermutlich die Züge auf dem Schachbrett nachvollziehen können, und dann wissen wir mehr.“
„Vielleicht solltest du heute nacht hierbleiben“, schlug ich vor. „Scharrif könnte seine Leute schicken, um dich zu verhaften, wenn er den Beweis dafür hat, daß du illegal eingereist bist. Ich bringe dich dann morgen unbemerkt in die Stadt. Mein Auftraggeber Kamel kann mit seinen Beziehungen sicher erreichen, daß du nicht ins Gefängnis mußt. Und wir haben Zeit für unser Puzzle.“
Wir blieben fast die ganze Nacht auf, um die Ereignisse zu rekonstruieren, und machten Züge auf Lilys Steckbrettschachspiel - ein Streichholz ersetzte die fehlende weiße Dame. Aber Lily war enttäuscht.
„Wenn wir nur ein paar Anhaltspunkte mehr hätten“, klagte sie mit einem Blick aus dem Fenster, vor dem sich der Himmel langsam lavendelblau färbte.
„Ich weiß, wer sie uns beschaffen könnte“, sagte ich, „das heißt, wenn ich ihn erreichen kann. Er ist ein Computeras und hat auch viel Schach gespielt. Er hat in Algier eine Freundin mit guten Beziehungen - die Frau des verstorbenen holländischen Konsuls. Ich hoffe, sie heute mittag zu treffen. Du könntest mich begleiten, wenn wir die Sache mit deiner Einreise in Ordnung bringen.“
Lily war einverstanden, und wir sanken in die Betten, um noch ein wenig zu schlafen. Ich konnte natürlich nicht ahnen, daß in ein paar Stunden etwas geschehen sollte, was mich von einer unwilligen Teilnehmerin zu einer wichtigen Spielerin in diesem Spiel machen würde.
La Darse ist der Quai am Nordwestende des Hafens von Algier, wo die Fischerboote liegen. Diese lange, felsige Mole verbindet das Festland mit der kleinen Insel, der Algier seinen Namen verdankt - Al-Djezair.
Dort befand sich der Parkplatz für die Ministerien, aber Kamels Wagen war nicht zu sehen. Also stellte ich den großen blauen Corniche auf seinen Platz und steckte eine Nachricht unter den Scheibenwischer. Es war mir nicht ganz wohl dabei, als ich den hellblauen Wagen zwischen den glänzenden schwarzen Limousinen parkte. Aber es war besser, als ihn auf der Straße stehenzulassen.
Lily und ich gingen am Ufer entlang zum Boulevard Anatole France, überquerten die Avenue Ernesto Che Guevara und erreichten die Escaliers, die zur Mosquée de la Pêcherie hinaufführte. Lily hatte erst ein Drittel der Stiege hinter sich, als sie sich auf die alten, abgetretenen Stufen setzen mußte. Der Schweiß lief ihr in Strömen über das Gesicht, obwohl es noch morgendlich kühl war.
„Willst du mich umbringen?“ stieß sie keuchend hervor. „Was ist denn das für eine Stadt? Diese Straßen gehen kerzengerade nach oben. Sie sollten alles mit Planierraupen abräumen und nach einem vernünftigen Plan ganz neu anfangen.“
„Ich finde es bezaubernd“, erklärte ich und zog sie wieder auf die Beine. Carioca lag erschöpft und mit hängender Zunge neben ihr. „In der Nähe der Kasbah kann man nicht parken. Also weiter!“
Nach vielem Jammern und Klagen und etlichen Pausen kamen wir schließlich oben an. Hier verläuft die kurvenreiche Bab el-Oued zwischen der Fischer-Moschee und der Kasbah. Zu unserer Linken befand sich
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