Katrin Sandmann 01 - Schattenriss
Ecken in die Hände und klemmte sie in die Halterung der Mangel. Als Tamara noch klein war, hatte sie immer ihre frisch gewaschene, feuchte Wäsche mit zur Arbeit gebracht und durch die Mangel fahren lassen. Sie liebte es, wenn die winzigen Kinderdeckchen und Laken so rein und glatt gefaltet dalagen. Es gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme. Wie entzückend ihr Baby in seinem kleinen Bettchen ausgesehen hatte, so friedlich und still. Tamara war ein besonders liebes Baby gewesen. Sie hatte kaum geweint und andere Mütter hatten sie um ihre ruhigen Nächte beneidet. Sylvia lächelte, als sie sich an jene Zeit erinnerte.
Sie griff nach dem nächsten Laken. Es war nicht richtig sauber geworden. Genau in der Mitte prangte ein hässlicher dunkler Fleck. Sie schleuderte das Tuch in den Container für die Wäsche, die erneut gewaschen werden sollte und musste plötzlich an die hässlichen Blutflecken auf Tamaras Laken denken. Vor über einem Jahr waren sie ihr zum ersten Mal aufgefallen. Sie hatte ihre Tochter ermahnt, besser Acht zugeben. Schließlich geht Blut so schlecht raus und sie hatte ihr beigebracht, wie man dafür sorgte, dass das Laken auch an den unreinen Tagen nachts sauber blieb.
Aber es war wieder und wieder passiert. Es war fast so, als hätte Tamara absichtlich nicht darauf geachtet. Sylvias Magen krampfte sich zusammen bei dem Gedanken an die Plackerei, die sie mit den blutigen Laken gehabt hatte. Sie hasste Blut. Sie hasste dieses Gefühl schmutzig zu sein, jeden Monat, Jahr für Jahr.
Sie klemmte ein neues Laken in die Halterung. Sie schlug auf den Knopf. Das Tuch fuhr zur Seite. Während es langsam über die Walze glitt, entdeckte Sylvia plötzlich das Blut. Ringsum flimmerten dunkelrote Flecken, abstoßend und hässlich. Sie wandte sich hastig ab und griff nach dem nächsten Laken. Wieder flirrte das Blut vor ihren Augen. Es war überall, auf den Tüchern, im Container, auf der Mangel. Sogar an ihren Händen. Sie fing an, schneller zu arbeiten. Hastig griff sie ein Laken nach dem anderen, stopfte die Enden in die Klammern und knallte mit der flachen Hand auf den Knopf. Aber das Blut legte sich wie ein gleißender Schleier vor ihre Augen, wurde mehr und mehr. Ihr wurde schwindelig, sie konnte die Maschine nur noch undeutlich erkennen und die Konturen verschwammen langsam vor ihrem Blick. Die Walzen rasten unaufhörlich und spuckten knallrotes Blut. In Panik riss sie ein weiteres Laken aus dem Container und versuchte das Blut abzudecken.
Sie hörte ein lautes Geräusch, einen Schrei. Es war ihre eigene Stimme. Die Maschine stand plötzlich still. Alles war dunkel. Erst jetzt spürte sie den Schmerz, der stechend durch ihre rechte Hand jagte. Bevor sie bewusstlos wurde, sah sie das Blut über ihren nackten Arm laufen, der reglos zwischen den schweren Walzen klemmte.
8
Es war Viertel nach elf, als zwei Streifenwagen vor der Videothek auf der Dorotheenstraße hielten. Die Tür des Geschäfts war verschlossen. Während ein Polizeibeamter sich am Schloss zu schaffen machte, schlüpften zwei seiner Kollegen in das Treppenhaus des Nachbargebäudes, um den Hintereingang zu erreichen. Sie gelangten durch eine Tür in einen kleinen Hof, in dem eine ältere Frau in einem roten Bademantel damit beschäftigt war, Wäsche auf eine Leine zu hängen. Sie hielt in ihrer Arbeit inne und starrte die Polizisten irritiert an. Die Hintertür der Videothek war nicht verschlossen. Als einer der Beamten, ein rotblonder, junger Mann Anfang zwanzig, sie aufzog, stürzte Christian Gutsche ihm entgegen, stieß ihn grob zur Seite, ließ dabei einen Pappkarton fallen und hastete in das Treppenhaus, durch das die beiden Polizisten eben gekommen waren. Mit einem lauten Knall zog er die Holztür hinter sich zu. Der ältere Polizist jagte ihm hinterher. Der jüngere rappelte sich ebenfalls auf und hechtete Richtung Hausflur. Die Frau im roten Bademantel sah ihnen kopfschüttelnd hinterher. Dann griff sie in aller Ruhe in ihren Wäschekorb, fischte einen karierten Kopfkissenbezug heraus und hängte ihn über die Leine.
Christian Gutsche kam nicht weit. An der Haustür empfing ihn ein weiterer Polizist. Dieser warf den Videothekinhaber zu Boden und hatte ihm bereits Handschellen angelegt, als seine Kollegen aus dem Treppenhaus auf die Straße stürmten. Während die Beamten den Laden durchsuchten und die illegalen Filmkopien beschlagnahmten, musste Gutsche im Polizeiwagen warten. Er saß auf der Rückbank und starrte finster
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