Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
einige Stunden irgendwo gefangen gehalten, bevor er sie umbrachte. Oder im Kofferraum herumkutschiert. Sie sagten doch, dass der Fundort der Leiche einer von diesen Richtplätzen war. Also sind dort ständig Streifen vorbeigefahren. Möglicherweise hat der Täter den Ort eine Zeit lang beobachtet, bevor er den Mord beging, um den richtigen Zeitpunkt zu erwischen.«
»Und währenddessen lag sein Opfer gefesselt im Kofferraum seines Wagens?«
»So könnte es gewesen sein.« Vorsichtig berührte sie Halverstetts Arm. »Manchmal ist es ein Scheißjob«, sagte sie leise.
Halverstett griff ihre Hände, hielt sie einen Augenblick in den seinen, dann machte er sich los und marschierte ohne ein weiteres Wort aus dem Obduktionssaal.
*
Katrin stopfte ihre durchgefrorenen Finger tief in die Jackentaschen. Ratlos blickte sie sich um. Sie hatte in allen Häusern in der Nachbarschaft herumgefragt, auch auf den Quer- und Parallelstraßen, doch niemand hatte den Hund gesehen. Flips war wie vom Erdboden verschluckt. Bedächtig schlenderte sie auf das Grundstück des Ehepaars Kassnitz zu. Was, wenn das Tier hier in der Nähe von dem Geländewagen angefahren worden war und jetzt irgendwo im Gebüsch lag? Schwer verletzt oder sogar tot? Vorsichtig spähte sie in den Vorgarten. Alles still. Nur das rotweiße Absperrband der Polizei, mit dem der Zugang zum Grundstück versperrt war, wogte sacht. Es war Mittag, kurz vor eins, in der Ferne hörte sie ein paar Schulkinder, auf der Brucknerstraße war ein Gymnasium. Sie blickte sich kurz um, dann stieg sie rasch über das Band und huschte auf das Haus zu. Wenn sie erwischt wurde, konnte sie sagen, dass sie nach dem Hund suchte, und das stimmte ja auch.
Entlang der Einfahrt reihten sich immergrüne Nadelgehölze. Katrin drückte hier und da ein paar Zweige zur Seite und spähte ins Unterholz. Doch von Flips fehlte jede Spur. Was hatte sie auch erwartet? Sicherlich hatte die Polizei das Anwesen gründlich unter die Lupe genommen, ein verletzter Hund wäre ihr wohl aufgefallen. Katrin glitt um die Hausecke und lugte in die Fenster. Eine Küche, auf der Spüle warteten ein paar Tassen und Teller darauf, in die Spülmaschine geräumt zu werden. An einer Pinnwand aus Kork hafteten Notizen. Ein Einkaufszettel, ein Rezept, ein Bild, auf dem mit dicker Wachsmalkreide unbeholfen eine riesige Sonne und ein paar Blumen gemalt waren. Zwischen den Blumen stand ein Name, die Buchstaben waren rot und der letzte im Verhältnis viel zu groß. Jule , entzifferte Katrin. Dann lief sie zum nächsten Fenster. Ein Wohnzimmer, elegant eingerichtet. Ledersofa. Kamin. In einem riesigen Aquarium tummelten sich exotische Fische. Katrin fragte sich, wer die wohl im Augenblick versorgte.
Hinter dem Haus führte eine Treppe in den Keller. Katrin blieb zögernd stehen. Vielleicht war die Tür nicht abgeschlossen. Dann konnte sie sich das Haus von innen ansehen. Langsam ging sie auf die Treppe zu. Alles schien normal. Sie griff nach dem Geländer und setzte den Fuß auf die erste Stufe. Da sprang die Treppe plötzlich auf sie zu. Katrin erschrak. Sie wollte einen Schritt zurück machen, doch ihre Hand klebte am Geländer. Die Stufen wölbten sich ihr entgegen, türmten sich vor ihr auf wie eine steinerne Wand. Gleich würden sie über ihr zusammenbrechen. Katrin atmete in kurzen, schmerzhaften Stößen. Ihr Herz hämmerte. Weg! Ich muss hier weg, schrie es in ihr, doch ihre Füße hafteten reglos am Boden, und ihre Hand pappte an dem kalten Metall des Geländers, als wäre sie festgewachsen. Plötzlich rührte sich hinter ihr etwas.
»Was machen Sie denn hier?! Verschwinden Sie sofort! Hier gibt es nichts zu gaffen!«
Katrin fuhr herum. Die Erstarrung löste sich. Die Treppe kehrte an ihren Platz zurück, legte sich nieder, als könne sie kein Wässerchen trüben. Auf dem Gartenweg stand eine Frau in Schürze und Pantoffeln, die Hände in die Hüften gestemmt. »Schämen Sie sich nicht?«
Katrin versuchte, ruhig zu atmen. Ihre Hand hielt immer noch das Geländer umkrallt. Sie setzte eine arglose Miene auf. »Ich gaffe nicht«, verteidigte sie sich. »Ich suche Flips, den Rauhaardackel von Frau Hirschwedder .«
»Und den suchen Sie bei den Kassnitz ’ im Keller, ja?«
Katrin wurde heiß. »Ich dachte, er hätte sich vielleicht hier auf dem Grundstück verkrochen. Bei allen anderen Nachbarn habe ich schon nachgefragt.«
»Jetzt verschwinden Sie mal ganz schnell, bevor ich die Polizei rufe. Und lassen Sie sich
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