Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
Es waren mindestens fünfundzwanzig Grad in dem Zimmer.
Silke starrte auf den Boden. »So einfach ist das also. Telefonbuch und zack, schon steht jemand vor deiner Tür.«
»Wie bitte?«
»Ach nichts.« Silke kaute an einem Kissenzipfel. Sie sah Katrin nicht an.
»Kann ich noch irgendetwas für Sie tun?« Katrin wollte plötzlich weg. Die Hitze, die vielen Kissen und Decken um sie herum drohten sie zu ersticken.
»Es ist so schrecklich. Du rennst und rennst und rennst, doch es holt dich immer wieder ein. Carina hatte echt ein beschissenes Leben. Von Anfang an. Ihre Kindheit muss die Hölle gewesen sein. Und ihr Tod –«
Katrin horchte auf. »Carina?«
»Ja. Carina. Sie war meine Freundin.«
»War?«
»Irgendein Schwein hat ihr heute Nacht den Kopf abgehackt.« Silke brach in Tränen aus, laut und hemmungslos. Katrin streckte hilflos die Hände aus. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Schließlich nahm sie die junge Frau einfach in die Arme. Silke weinte wie ein kleines Mädchen, sie schluchzte, rang nach Luft und krallte sich in Katrins Jacke. Dann wurde sie ganz plötzlich still. Abrupt stieß sie Katrin weg und schnappte sich wieder das Kissen, an dem sie gekaut hatte. »Das ist alles so beschissen. Total beschissen.«
»Möchten Sie darüber reden?«
Silke schüttelte den Kopf. »Sie hat eine Schwester. Annika heißt die, glaub ich. Aber zu der hatte sie keinen Kontakt mehr. Die haben sich zerstritten. Ich glaube, es war wegen der alten Geschichte. Aber das weiß ich nicht genau. Die wohnt in Ratingen. Das müssen Sie sich mal vorstellen. Sie hatte eine Schwester, die keine halbe Stunde von hier entfernt wohnt, aber sie haben nie miteinander gesprochen. Nicht einmal, nachdem …« Silke vergrub ihr Gesicht im Kissen. »Ich möchte, dass Sie jetzt gehen«, murmelte sie kaum verständlich in den weichen Stoff.
Katrin stand auf. Ihr Pullover fühlte sich klatschnass an, eine Mischung aus Schweiß und Tränen. »Sind Sie sicher, dass ich gehen soll?«
Silke antwortete nicht. Katrin strich ihr vorsichtig über das Haar. »Ich rufe morgen an«, versprach sie, dann verließ sie die Wohnung und saugte erleichtert die kühle Luft des Treppenhauses in ihre Lungen.
*
Manfred stopfte sich eine Gabel voller Nudeln in den Mund. »Schmeckt phantastisch, findest du nicht?«
Katrin lachte. »Bescheidenheit ist nicht gerade eine deiner hervorstechenden Eigenschaften.«
»Schmeckt es dir etwa nicht?«
»Doch, ist toll.« Katrin tunkte ein Stück Weißbrot in die Soße. »Traumhaft lecker.«
»Na also. Warum soll ich nicht ein Essen genial finden, das ich selbst gekocht habe?« Manfred nahm einen Schluck Wein. Danach betrachtete er das Glas. »Der ist so gut, der könnte glatt auch von mir sein.«
Katrin verdrehte die Augen. Dann wurde sie ernst. »Erzähl mir von der Pressekonferenz.«
Manfred stellte das Glas auf den Tisch. »Sie haben sich ziemlich bedeckt gehalten. Angeblich wissen sie nicht, ob der Mord zu der Serie gehört oder nicht. Ansonsten nicht viele Details und nicht viel Neues. Jede Menge Spuren, aber kein konkreter Verdacht.«
»Wie hieß die Frau?«
»Warum willst du das wissen?«
»Hieß sie Carina?«
Manfred zog die Augenbrauen hoch.
Katrin nickte. »Also ja. Und ihr Nachname?«
» Lennard . Carina Lennard . Zweiunddreißig Jahre alt. Zahnarzthelferin. Keine Vorstrafen. Keine Besonderheiten. Und keine Angehörigen.«
»Doch. Eine Schwester. Annika.«
Manfred ließ die Gabel fallen. »Dann haben sie die auf der Pressekonferenz unterschlagen. Das kann nicht sein.«
»Doch. Es kann.«
Manfreds Augen verengten sich zu Schlitzen. »Was hast du eigentlich den ganzen Tag getrieben?«
Katrin seufzte. »Ich habe zwei verstörte Kinder kennengelernt . Eins war ungefähr zwölf, das andere etwa so alt wie ich.«
»Du sprichst in Rätseln.«
»Vieles davon ist auch rätselhaft. Den Jungen haben ich getroffen, als ich nach dem Hund gesucht habe.«
»Und? Irgendeine Spur?«
Katrin lächelte. »Kann sein, dass ich ihn gefunden habe. Morgen weiß ich mehr.«
Manfred riss ein Stück Brot ab. »Das ist alles? Mehr willst du nicht verraten?«
»Morgen.«
»Und das erwachsene Kind?«
»Silke. Eine Freundin von Carina Lennard . Sie hat mir auch von der Schwester erzählt. Sie war in der Altstadt. In der Nähe des Tatorts. Ist beinahe zusammengebrochen.«
Manfred schüttelte den Kopf. »Wie du das nur immer machst.« Er biss von dem Brot ab. »Na ja, solange du dich nur um
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