Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
dem werde ich’s zeigen. Der kann mich mal.« Erlanger setzte sich wieder an den Schreibtisch und drückte ein paar Tasten an seinem Computer.
»Was machst du da?« Steinmeier lugte zu Erlanger hinüber.
»Ich guck bei eBay rein. Ich wollte mir sowieso ein neues Handy kaufen. Dann habe ich die Zeit am Schreibtisch wenigstens sinnvoll genutzt.«
Steinmeier sah ihn an.
»Hey, was ist?«, blaffte sein Kollege. »Haste ein Problem damit?«
Steinmeier schüttelte den Kopf und musterte den Stapel ungelesener Akten. Dann blickte er auf die Uhr. Normalerweise wäre in einer halben Stunde Feierabend. Normalerweise. Aber für die MK Henker galten andere Regeln. Am Dienstag, nach dem zweiten Mord, hatte er gerade mal Zeit für fünf Stunden Schlaf gehabt. Heute Abend durfte er für acht Stunden nach Hause. Morgen war pünktlich um sieben bereits wieder Dienstbeginn. Und am Wochenende würde es nicht anders sein. Er beugte sich wieder über die Akte. Sollte Erlanger ruhig meckern, er fand die Arbeit eigentlich ganz angenehm. Besser als Klinkenputzen, Dutzende von Anwohnern zu befragen, ob sie irgendwas gesehen hätten, sich blöde Sprüche oder weitschweifiges Geschwafel anzuhören.
*
Die Tür öffnete sich einen winzigen Spalt breit. Eine Kette schob sich ins Blickfeld, dann ein Augenpaar, dunkel, misstrauisch.
»Mein Name ist Katrin Sandmann. Kann ich kurz mit Ihnen sprechen?«
»Worum geht’s?«
»Um Ihre Schwester.«
Ein Zögern. Die Augenbrauen zogen sich zusammen. Katrin befürchtete, dass Annika Lennard ihr die Tür vor der Nase zuknallen würde. Schließlich wollte sie laut Silke nichts mit ihrer Schwester zu tun haben. Doch dann hörte sie erneut die Stimme hinter der Tür.
»Sind Sie von der Polizei?«
»Nein.«
»Presse?«
»Nein. Eine Art Freundin.« Hoffentlich war das kein Fehler.
Ein Schnauben. »Eine Freundin von der sauberen kleinen Carina? Warum sollte ich mit der reden?«
»Nicht von Carina. Die Freundin einer Freundin.« Katrin räusperte sich. »Es ist ein bisschen kompliziert. Kann ich es Ihnen drinnen erklären? Ich möchte nicht so durchs Treppenhaus schreien. Bitte!«
Stille. Dann schlug die Tür zu. Sekunden später öffnete sie sich wieder. Annika Lennard musterte sie misstrauisch, die Arme vor der Brust verschränkt. Katrin schluckte. Die Frau war etwa einen Kopf größer als sie selbst und unglaublich dick. Sie trug einen rosa Jogginganzug aus Frottee, und ihr dünnes blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
»Kommen Sie rein.« Annika trat zurück.
Die Diele war ein Dschungel, vollgestellt mit Kübeln voller künstlicher Pflanzen, Orchideen, Palmen und Blumen in allen Farben. An den Wänden hingen Setzkästen mit unzähligen kleinen Figürchen. Katrin registrierte Frauengestalten mit Flügeln. Annika folgte ihrem Blick. »Feen. Ich sammle sie.« Sie lächelte stolz. Im Wohnzimmer erschlug die Flut von Figuren Katrin beinahe. Manche waren aus Porzellan, andere saßen in Kissenform auf dem Sofa, wieder andere hielten die zahllosen Blumentöpfe in ihren Händen oder baumelten an der Decke. Mehrere Bilder mit Feen schmückten die Wände.
»Es sind inzwischen über fünfhundert.« Annika griff in eine Schale, die auf dem Tisch stand. Auch sie wurde von Feen getragen. Angefüllt war sie mit Schokoriegeln und Bonbons, alle in glitzerndes Papier gehüllt. »Greifen Sie zu«, forderte Annika sie auf, während sie ein Sahnebonbon aus der Goldfolie löste.
Doch Katrin schüttelte den Kopf. »Danke, ich habe gerade erst gefrühstückt.«
Annika steckte sich das Bonbon in den Mund. Katrin sah sich im Zimmer um und entdeckte weitere Schalen mit Süßigkeiten und eine Platte mit Keksen. Ihre Gastgeberin ließ sich auf die Couch fallen. Ihr Bauch unter dem rosa Stoff wippte auf und ab. »Was ist mit Carina?« Sie biss krachend auf das Bonbon.
Katrin setzte sich neben sie. »Sie wissen es noch nicht?«
»Was?«
Katrin zögerte. »Carina ist tot. Ich dachte, die Polizei hätte Ihnen Bescheid gesagt. Es tut mir leid.«
Annika starrte auf den Tisch. Ein Deckchen mit aufgestickten Feen machte sich unter der Schale mit den Bonbons breit. Sie waren rosa, hatten goldene Flügel und ebenso goldenes Haar. Annika fuhr mit dem Finger über einen der Flügel. »Ja, ich weiß. Einer von der Polizei war da und hat’s mir gesagt. Aber den habe ich nicht reingelassen .« Der Finger stockte, verharrte in der Luft. Annika atmete tief ein, dann stieß sie ihre Hand in die Schale
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