Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
Gegenteil, er hat mir geholfen.« Sie überlegte fieberhaft. »Gestern, mit meinen Einkäufen. Ich wollte mich bedanken.«
Der Mann zog skeptisch die Augenbrauen hoch. »Wie kommt mein Sohn dazu, Ihnen beim Einkaufen zu helfen? Sind Sie hier aus der Gegend? Ich kenne Sie gar nicht.«
Frau Spielmann stand neben ihrem Mann und drehte eine Haarsträhne über dem Ohr um ihren Zeigefinger. »Der Jan ist noch in der Schule. Er kommt erst um Viertel nach zwei.«
»Das geht die Frau gar nichts an, Petra. Wer weiß, was das für eine ist.« Er schob seine Frau zur Seite und fixierte Katrin. »Lassen Sie uns in Ruhe! Und unseren Sohn auch. Der soll sich nicht von Fremden anquatschen lassen. Wie oft habe ich dem das schon eingebläut?! Na warte, der soll mir mal nach Hause kommen!«
Katrin schluckte. »Es ist nicht so, wie Sie denken«, begann sie, doch der Mann fiel ihr ins Wort.
»Verschwinden Sie! Halten Sie sich aus unserem Leben raus. Wir wollen nichts mit Ihnen zu tun haben.« Er knallte die Tür zu, und Katrin trottete den schmalen, mit Steinplatten ausgelegten Weg zur Straße zurück. Was hatte sie dem armen Jungen da nur eingebrockt!
Sie schlenderte gemächlich die Straße hinunter und bog dann in den Fußweg. Es war kurz nach zwei. Sie würde warten und Jan abfangen. Das war das Beste. Fröstelnd blieb sie auf dem Spielplatz stehen, der genau auf halber Strecke zur Silcherstraße lag. Hoffentlich nahm Jan immer diesen Weg! Ein hauchfeiner Nieselregen hatte eingesetzt und legte sich wie ein feuchter Schleier auf ihr Gesicht. Katrin musterte die wenigen Spielgeräte, ein Klettergerüst in Form einer Raupe, eine Rutschbahn und eine einsame Schaukel. Unwillkürlich musste sie an jenen anderen Spielplatz denken, wo sie vor drei Tagen den Toten gefunden hatte. Eine Frau tauchte auf und musterte Katrin misstrauisch, während sie an ihr vorbeiging. Dreimal blickte sie sich mit unverhohlener Neugier um, bevor sie um die Ecke bog. Nachdem die Frau verschwunden war, tauchten ein paar Schulkinder auf. Jan war nicht dabei. Der Nieselregen wurde stärker, langsam sickerte er in Katrins Jacke. Endlich sah sie Jan den Weg entlangtrotten . Er zuckte zusammen, als er Katrin sah.
»Hallo, Jan.«
Er ging langsam weiter, scheinbar in den Anblick seiner Schuhe vertieft.
»Jan, ich muss mit dir sprechen, es geht um Flips. Oder möchtest du, dass ich erst mit deinen Eltern rede?« Katrin hasste sich selbst für diese kaum versteckte Drohung, aber irgendwie musste sie den Jungen davon abhalten, wieder vor ihr wegzurennen.
Jan blieb abrupt stehen. Er starrte sie an. Unter seinen Sommersprossen war die Haut ganz bleich.
Katrin sprach schnell weiter. »Du weißt, wo Flips ist. Hab ich recht?«
Jan reckte das Kinn vor. »Ich hab ihn nicht geklaut, ich hab ihn gefunden. Gerettet.« Trotzig sah er Katrin an. »Die hat sich doch gar nicht um ihn gekümmert.«
»Wer? Frau Hirschwedder ?«
Jan nickte. »Anstatt richtig mit ihm spazieren zu gehen, ist sie immer nur bis zum Gartentor und hat ihn dann ein bisschen hin und her laufen lassen. Das ist doch Tierquälerei.«
»Und das hat sie immer so gemacht? Bist du dir sicher?«
Jan studierte erneut seine Schuhe. »Na ja, nicht immer. Aber sehr oft.«
»Frau Hirschwedder ist eine alte Dame. Sie kann vielleicht nicht mehr bei jedem Wetter mit dem Hund spazieren gehen.«
»Aber ich habe ihn nicht geklaut. Er kam zu mir. Von ganz allein. Dieser blöde Geländewagen hätte ihn beinahe erwischt. Und dann ist er zu mir gerannt. Was sollte ich denn tun?«
»Geländewagen?« Katrins Herzschlag setzte aus. Bisher hatte sie Halverstett nichts von dem Auto erzählt, weil sie den alten Mann, der ihn erwähnt hatte, nicht für besonders glaubwürdig hielt. Wer weiß, was der sich in seinem Wahn zusammengesponnen hatte. Aber wenn der Junge den Wagen auch gesehen hatte …
Jan schabte mit dem Fuß über die vom Regen aufgeweichte Erde. »Ich hatte doch Stubenarrest. Ich war den ganzen Nachmittag auf meinem Zimmer. Abends konnte ich nicht einschlafen. Also bin ich noch mal raus. Über das Garagendach. Das geht ganz einfach.« Er stockte. »Erzählen Sie das meinem Vater?«
Katrin schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich?«
»Gut.« Jan nickte erleichtert. »Also, ich bin raus und ein bisschen rumgelaufen . Muss so gegen elf gewesen sein. Meine Eltern saßen vor dem Fernseher. Es war ja total neblig an dem Abend, deshalb habe ich diesen Wagen selbst erst im letzen Moment gesehen. Er kam die Straße
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