Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
»Tut mir leid«, murmelte sie, »aber im Augenblick liegen mir die Nerven blank.« Sie setzte sich neben Rita. Dann sprang sie wieder auf. »Ich habe Ihnen gar nichts angeboten. Möchten Sie etwas trinken? Einen Kaffee?«
Halverstett schüttelte den Kopf. »Nein, danke, setzen Sie sich wieder.«
Sie sank zurück auf den Stuhl und strich ihre schulterlangen Haare glatt. »Und Sie sind sich sicher, dass Benedikt das war?«
»Es sieht leider so aus, ja.« Halverstett setzte sich jetzt ebenfalls. Die Essecke füllte einen kleinen Erker an der linken Seite des Wohnzimmers. Von hier aus hatte man uneingeschränkte Sicht auf den gepflegten Vorgarten. Eine Art Theke, die etwa hüfthoch war, trennte diesen Bereich von dem übrigen Teil des Raums ab. Die Theke selbst hatte Jule offenbar zu ihrem Revier erklärt. Eine Barbiepuppe, Filzstifte und Legosteine breiteten sich darauf aus. »In dem Wagen, den er in den letzten Wochen gefahren ist, haben wir Blut und Gewebespuren von drei seiner Opfer gefunden.«
»Ich begreife das nicht.« Natalie starrte auf ihre Hände. »Manchmal kann ich nicht einmal glauben, was er mit dieser Frau gemacht hat, dass er sie betäubt und – und – und jetzt soll er all diese Menschen getötet haben? Warum? Mir tut es so leid um diese Frau Kassnitz , Jules Erzieherin. Das war eine so nette Frau. Sie hat mir beigestanden, als ich mich von Benedikt getrennt habe, hat sich sehr liebevoll um Jule gekümmert. Die beiden hatten ein ganz besonderes Verhältnis zueinander. Wieso hat Benedikt ihr das angetan? Ich erkenne ihn nicht wieder. Das ist nicht der Mann, den ich geheiratet habe.«
Rita Schmitt räusperte sich. »Wir würden gern von Ihnen wissen, ob Ihr Mann irgendeinen Platz hat, an dem er sich verstecken könnte. Oder einen Freund, der ihm Unterschlupf gewähren würde.«
Natalie verhakte ihre Finger und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Sein bester Freund ist eigentlich Marc. Sein Bruder. Ist er denn nicht dort?«
»Leider nicht. Er ist verschwunden. Marc übrigens auch.« Rita warf Halverstett einen Blick zu. Der nickte zustimmend.
»Sind die beiden zusammen untergetaucht?«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Rita. »Gibt es sonst niemanden, bei dem er sein könnte?«
»Nicht, dass ich wüsste. Aber was weiß ich schon. Benedikt ist ein Fremder. Ich kenne ihn nicht mehr.«
»Was ist mit diesem Alexander Häckner , von dem er den Wagen geliehen hat?«
»Ist ein alter Schulfreund. Aber Benedikt mag ihn nicht einmal besonders. Alex hat immer an ihm geklebt wie eine Klette, hat ihn bewundert, ihm dauernd irgendwas geschenkt. Ich weiß auch nicht, warum. Benedikt war das eher lästig. Ich glaube nicht, dass er ihn ins Vertrauen ziehen würde.«
»Ist Marc auch mit Alex befreundet?«, wollte Halverstett wissen.
»Nein, ich glaube nicht. Marc ist ja zwei Jahre jünger. Aber ich weiß es nicht genau.«
»Ach, da fällt mir was ein«, rief Rita. »Wir haben Bilder von Marc und Benedikt, aber die sind alle ein paar Jahre alt. Haben Sie ein neueres Foto von Ihrem Mann, das sie uns geben können? Vielleicht auch eins von Marc?«
Natalie stand auf. »Ja, die muss ich nur oben holen. Dann kann ich gleich mal nach Jule sehen. Sie ist so verdächtig still.« Sie verzog den Mund, doch ihr Lächeln erreichte ihre Augen nicht.
Es dauerte wieder ziemlich lange, bis Natalie Simons zurückkam. Sie legte zwei Fotos auf den Tisch. »Die sind von Marcs vierzigstem Geburtstag im letzten Jahr. Es sind die aktuellsten, die ich habe.«
Rita studierte die beiden Bilder. »Sehen sich recht ähnlich die beiden«, stellte sie fest.
»Ja, das stimmt. Benedikt sieht nur ein wenig solider aus als Marc. Das war es, was mir so an ihm gefallen hat. Er hat so eine Zuverlässigkeit ausgestrahlt.« Sie nahm eins der Fotos und blickte es gedankenverloren an. Rita wurde blass. Hastig sah sie zu Halverstett , der rasch nach dem zweiten Foto griff. »Das ist Marc?«, fragte er.
»Ja.«
Halverstett nahm ihr das andere Foto aus der Hand und warf einen Blick darauf. Dann stieß der einen Fluch aus und griff zum Telefon.
*
Die Fledermäuse! Sie flatterten wieder durch ihren Bauch, schlugen mit ihren Flügeln gegen die Magenwände. Dabei stießen sie grässliche, schrille Laute aus, die in ihrem Inneren widerhallten. Katrin hielt sich die Ohren zu, doch es nützte nichts. Das Kreischen war in ihr, rollte ihre Kehle hoch und stürzte sich aus ihrem Mund. Jetzt hatten auch die Fledermäuse den Weg ins
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