Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
ein zum Tod Verurteilter auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte an den Stein gestoßen wurde, um symbolisch anzudeuten, dass er aus der Gesellschaft ausgeschlossen war. Keine Ahnung, wie Simons das inszenieren wollte.«
Rita bog in die Klever Straße. »Du wolltest doch mit dieser Zeugin reden, der Frau, die ihn gefunden hat.«
Halverstett seufzte. »Die ist leider immer noch in Urlaub. Nicht zu erreichen.«
»Glaubst du, dass Marc Simons in Gefahr ist?«, wollte Rita jetzt wissen.
»Ich weiß nicht. Wenn Benedikt sich in die Ecke gedrängt fühlt, ist vermutlich jeder in Gefahr. Auch sein eigener Bruder. Auch wenn der bisher zu ihm gehalten hat.«
»Was wir ja noch nicht wissen. Vielleicht hat er tatsächlich keine Ahnung gehabt.« Rita steuerte in eine Parklücke. Als sie ausstieg, hielt sie nach den Beamten des MEK Ausschau, die das Haus observieren sollten, doch die waren nirgendwo zu entdecken, ganz so, wie es ihre Tätigkeit vorsah.
Niemand öffnete auf ihr Klingeln. Per Funk rief Halverstett Verstärkung, und zehn Minuten später standen sie in der Wohnung. Niemand war dort.
»Verdammt! Das gibt es doch nicht!« Halverstett griff zum Handy und tippte eine Nummer in die Tasten. »Ich denke, niemand hat das Haus verlassen!«, brüllte er wütend. Er lauschte sekundenlang. »Es ist aber niemand da«, rief er schließlich in das Gerät und unterbrach die Verbindung. »Ich fasse es nicht! Wie konnte das passieren?«
»Über den Balkon ist er jedenfalls nicht abgehauen«, meinte Rita. »Dritte Etage, unten ist ein gepflasterter Hof.«
»Aber er hätte durch den Keller in den Hof gekonnt.«
»Und von dort über die Mauer? Ich dachte, die Rückfront des Hauses wird auch überwacht.«
»Dachte ich auch.« Halverstetts Wut brannte ihm im Magen. Marc Simons hätte sie vermutlich zu seinem Bruder geführt. Jetzt waren beide Männer verschwunden. Er wandte sich an einen der Kollegen, die die Wohnungstür aufgebrochen hatten. »Nehmt alles auseinander. Ihr wisst, wonach wir suchen.«
In dem Augenblick trat ein anderer Polizist ins Wohnzimmer. »Guck mal, was ich gefunden habe!« Triumphierend präsentierte er mit seinen behandschuhten Fingern ein Paar schwarze Turnschuhe. »Größe zweiundvierzig. Ich wette, das sind die richtigen.«
»Sofort zur KTU.« Mit grimmiger Miene sah Halverstett sich im Wohnzimmer um. Er öffnete die Schublade einer Kommode und studierte den Inhalt. Stifte, Briefumschläge und Briefmarken. Ein Stapel Papier, eine Druckerpatrone. Sein Handy klingelte. Er lauschte mit gefalteter Stirn. »Schicken Sie eine Beamtin zu ihr«, sagte er schließlich. »Sie soll bei ihr oben in der Wohnung bleiben. Sicher ist sicher.«
»Was ist los?« Rita Schmitt, die gerade die Bücher studierte, die sich auf Marc Simons’ Wohnzimmertisch stapelten, sah ihn fragend an.
»Silke Scheidt hat im Präsidium angerufen. Offenbar hat sie uns gestern nicht alles erzählt. Simons war vor zwei Wochen schon mal bei ihr. Hat ihr vor der Haustür aufgelauert. Sie ist wohl nur durch Zufall einem Anschlag entgangen.«
»Wird Zeit, dass wir diesen Mistkerl erwischen.« Rita beugte sich wieder über die Bücher. Sie schlug einen Band auf und begann zu lesen. »Hör dir das an«, rief sie plötzlich. »›Mit dem Galgenprivileg erhielt Düsseldorf 1371 seinen ersten Richtplatz nördlich der Altstadt. Bis ins 17. Jahrhundert lag dieser Platz auf einem kleinen Hügel direkt am Rheinufer zwischen der Stadtwindmühle und dem Dorf Golzheim .‹ Hier liegen lauter solche Bücher rum. Jetzt wissen wir, wo Simons seine Informationen über die Richtplätze herhat.«
*
Zögernd stand Katrin vor der Haustür. Sie erinnerte sich nicht mehr, wie Marc Simons’ Nachbarn hießen. Dabei war sie sicher, dass er den Namen erwähnt hatte. Sie studierte die Klingelschilder. Dierkens ? Kawalewski ? Schubert? Mist. Es fiel ihr nicht ein. Sie fröstelte. Es war eiskalt, auf dem Weg von der Straßenbahnhaltestelle bis hierher waren ihre Zehen eingefroren, und ihr Gesicht war fast vollkommen taub geworden. Am liebsten wäre sie einfach wieder umgekehrt. Was für eine Schnapsidee! Da wurde die Tür aufgerissen. Eine Frau tauchte auf. Was für ein Glück! Hastig murmelte Katrin ein ›Guten Tag‹ und huschte ins Treppenhaus. So war es noch viel besser. Auf ihr Klingeln hätte vermutlich sowieso niemand reagiert. Rasch stieg sie in den dritten Stock. Dabei wurde ihr langsam wieder warm.
Meine Nachbarn, hatte Marc gesagt. Das hatte so
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