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KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)

Titel: KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Zipfel
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auf das grüne Männchen warteten, zwitscherten vergnügt durch die geöffneten Seitenscheiben. Aber meine rechte Hüfte, dieses mühselig zusammen gebastelte, viel zu komplizierte und viel zu mürbe Stück Knochen, fand, dass ihm der künftige Luftdruck und die unvorstellbare Spannung, mit der sich schon bald dunkle Wolken grimmig aneinander reiben würden, schon jetzt nicht passte. Besonders schlimm war es immer beim Gehen: Jeder Schritt fühlte sich an, als würde jemand genüsslich ein schartiges Messer an meinen Knochen schärfen. So war das seit meinem Unfall, dieser Verkettung unglücklicher Umstände, wie man mich damals im Krankenhaus mit typischer »Kopf-hoch-es-wird-alles-schon-wieder-werden-Miene« zu trösten versuchte.
    Eine Kette unglücklicher Umstände – damit hatte ich schon immer meine Probleme. Ab einer bestimmten Anzahl von Kettengliedern, die alle so herrlich ineinander greifen, werde ich stutzig: Wie viele Zufälle dürfen sich zufällig aneinander reihen, damit das ganze noch als Zufall durchgehen kann? In meinem Fall eindeutig zu viele. Ich zog es deshalb vor, das Ganze eher als Schicksal zu betrachten. Änderte zwar im Ergebnis nichts, hatte aber dafür wenigstens diese unabänderliche Bestimmtheit, die schon wieder ans Versöhnliche grenzte. Ein von langer Hand geplantes Rendezvous eben, zwischen dem spitzen Stein im Gras und meiner Hüfte, die heftig aneinander gerieten, um mir bis ans Ende meiner Tage diesen leicht wurmstichigen Gang zu verpassen, ganz besonders dann, wenn das Wetter wechselte. Und das tat es oft da, wo ich war. So oft, dass mir schon der Gedanke gekommen war, daraus einen nützlichen Beruf zu machen, eine Berufung fast – als wandelnde Wettervorhersage! Das wäre positiv, das wäre tröstlich, das ergäbe Sinn: Ich würde an den Stränden friedlicher Gewässer leben, auf denen Kinder vergnügt und arglos auf bunten Luftmatratzen herumplanschten, funkelnde Wassertropfen auf ihrer Haut und auf ihren kleinen, gebogenen Rücken die warmen Sonnenstrahlen zähflüssiger Sommertage: »Holt lieber die Kinder aus dem Wasser, Leute! Arno humpelt wieder. Wird bestimmt bald Gewitter geben!« Und ich würde mich freuen, weil das zuverlässig funktionieren würde und deshalb nie etwas passieren könnte, weil eben meine Hüfte sich stets rechtzeitig melden würde, mit der sensiblen Zuverlässigkeit all dessen, was nicht mehr im Lot war, nicht mehr fest gefügt nach Bauplan, sondern nur noch so ungefähr zusammenhielt, in der Schwebe zwischen »so ja wohl nicht!« und »wie denn sonst?« und deshalb eben so empfindlich war für alles andere, das kippte, wankte, schwankte.
    So lenkte ich mich mit weitschweifigen Gedanken von der simplen Tatsache ab, dass ich Schmerzen hatte, und von der noch simpleren, dass ich Schmerzen schlecht ertrug, während sich der Himmel verdunkelte, schwärzlich-braun mit giftig-gelben Wolken wie frisch aus der Chemiefabrik, die Luft elektrisch, dass die Haare knisterten. Sieht gar nicht gut aus, dachte ich noch, schloss die Seitenfenster und schaltete die Scheinwerfer ein.
    Und dann ging’s los: Vögel, die aus Bäumen flüchteten, bevor diese sich fast waagerecht zur Seite neigten; Blitz und Donner, die sich gegenseitig überholten; Radfahrer, die strampelnd auf der Stelle standen, als hätte man ihre Räder auf ein heimliches Kommando hin durch Hometrainer ersetzt; Regenschirme, die nach außen klappten und sich in Sekunden mit dem Wasser füllten, das vom Himmel fiel. Alles bog sich, alles wand sich, alles wunderte sich, alles versuchte, sich irgendwie in Sicherheit zu bringen.
    Ausgerechnet jetzt machte mein Volvo Mucken, stockte, verschluckte sich und prustete dann wie ein Nichtschwimmer, dem der Grund abhandenkommt, brachte mich aber doch noch, wenn auch zaudernd und mit letzter Kraft, fast bis zu meinem Büro. Aber eben nur fast, denn es fehlten noch ein paar Hundert Meter bis zum Ziel. Und dann fiel er in Ohnmacht. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Vielleicht hätte ich das hartnäckige Blinken der Warnlampen nicht genauso hartnäckig ignorieren sollen. Jetzt saß ich da, draußen Weltuntergang und mein schönes Auto wie festgeklebt. Ich konnte nur noch die Werkstatt anrufen.
    Die Empfangsdame meldete sich nach dem dritten Klingeln und verband mich mit dem Meister. Und der meldete sich schon gleich nach dem ersten schmissigen Song, mit dem im Allgemeinen unangenehme Wartezeiten auf unangenehme Weise überbrückt werden.
    Was er denn für mich tun

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