KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
natürlich tat ich das mit der wichtigtuerischen Zügigkeit dessen, der in Etablissements dieser Art zu nächtigen pflegte und unter dessen Würde es folglich war, sich um die selbstverständlichen Details von Luxus und Ambiente zu kümmern.
Der Marmorboden schien erst kürzlich renoviert worden zu sein. Sieh an, dachte ich, selbst die Fußabdrücke der Reichen und Berühmten hinterließen also am Ende nichts anderes als ganz normale Füße auch: Abnutzungserscheinungen.
In ihrer hölzernen Kommandozentrale agierte die Dame vom Empfang mit souveräner Verbindlichkeit. Es war ihr Job, jedem, der ihr gegenüber stand, das schmeichelnde Gefühl absoluter Einzigartigkeit zu geben. Hier lag überhaupt das grundlegende Geheimnis wahrer Luxushotels: Sie waren nahezu die letzten Orte dieser Welt, an denen man vorgeben konnte, was man sein wollte, unabhängig davon, was man tatsächlich war. Und alle spielten ohne Wimpernzucken mit. Vorausgesetzt natürlich, das Konto war immer schön gedeckt. Ansonsten fand das »V.I.P-V.I.P-Hurra« ein schnelles, jähes Ende und alle Illusionen zerschellten an den Klippen der traurigen Realität. War aber jetzt nicht mein Problem, ich wollte eigentlich nur Jüjü auftreiben. Der hatte zwar, nach allem »was man wusste«, morgen hier einen wichtigen Termin, was aber, wenn dieses Treffen, warum auch immer, doch nicht hier, sondern ganz woanders stattfände und Lappé deshalb auch nicht hier, sondern ganz woanders nächtigen würde? Oder noch schlimmer: Wenn er überhaupt schon gründlicher abgetaucht wäre, als ich vermutete? Dann stünde ich wieder ganz am Anfang. Und das wäre nicht gut, gar nicht gut!
Ich erreichte den Empfangstresen. Die nette junge Dame sah von ihrem Terminkalender – oder was auch immer – hoch und lächelte mich freundlich an. Nicht, dass ich ihrem professionellen Charme nicht zugänglich gewesen wäre, aber komischerweise fühlte ich mich trotzdem keinen Deut bedeutender als noch ein paar Sekunden zuvor.
»Grüezi vielmols im ›Baur au Lac‹. Was kann ich für Sie tun?« fragte sie.
»Ich habe hier einen Termin mit Herrn Dr. Hans-Jürgen Lappé aus München«, log ich. »Hat er vielleicht eine Nachricht für mich hinterlassen?«
»Wie ist Ihr Name, bitte?«
»Katz, Arno Katz.«
»Einen kleinen Augenblick, Herr Katz!«
Sie konsultierte kurz ihren Computer, drehte sich dann um, zeigte mir dabei für einige Sekunden ihren entzückenden Rücken, der da besonders reizvoll war, wo er eigentlich schon kein Rücken mehr war, wandte sich mir dann wieder zu und sagte mit dem Ausdruck höchsten Bedauerns: »Tut mir leid, es ist keine Nachricht für Sie da.«
»Aber Herr Dr. Lappé ist schon im Hotel eingetroffen, oder?«
»Ja, Herr Dr. Lappé und Begleitung sind vorgestern hier eingetroffen.«
Wunderbar! Ich bedankte mich, obwohl ich nicht genau wusste, wofür eigentlich. Sie bestätigte, dass es dafür »keine Ursache gäbe«, womit sie eigentlich ja auch recht hatte. Und so trennten sich unsere Wege in vollendeter Harmonie.
Ich ging in die Lobby des Hotels und ließ mich in einer der gediegenen Sitzgruppen nieder. War eigentlich ganz gemütlich hier: Die Sitze waren viel bequemer als sie aussahen und das Licht des Nachmittags ergoss sich in den Raum, sämig wie gezuckerte Kondensmilch.
Plötzlich stand ein Mitarbeiter des Hotels neben mir. Wahrscheinlich war er mit einem geheimen Lift aus dem Boden aufgetaucht.
»Haben der Herr einen Wunsch?«, fragte er.
»Ja, ich hätte gerne einen Milchkaffee! Und ein Blatt Papier samt Briefumschlag, bitte!«
Keine fünf Minuten später brachte er mir beides. Ich kramte meinen Kugelschreiber aus der Aktentasche und begann zu schreiben:
»Sehr geehrter Herr Dr. Lappé,
ich bin momentan in der Lobby des Hotels und hätte Sie gerne in einer wichtigen Angelegenheit gesprochen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie auf ein paar Minuten zu mir herunterkommen könnten.
MfG
A. Katz«
Dann faltete ich das Blatt Papier akkurat zusammen, nestelte es in den Umschlag, schrieb »Hrn. Dr. Lappé, persönlich« drauf und winkte den lautlosen Hotelkellner heran.
»Würden Sie bitte dafür sorgen, dass Herr Dr. Lappé diese Nachricht erhält? Und zwar möglichst umgehend!«
»Selbstverständlich, der Herr!«, sagte er und verschwand Richtung Empfang. Ich hatte den Kaffee kaum zu Hälfte ausgetrunken, als Jüjü auch schon auf den Plan trat – dynamisch, geschmeidig, selbstbewusst. Und nicht nur das: Er erschien mir außerdem
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