KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
mit jeder Menge Zeitschriften drauf und vor Spiegel und Ablage, in Reih’ und Glied penibel ausgerichtet, fünf Friseurstühle aus schwarzem Leder mit Chromgestell. Auf der gegenüberliegenden Seite standen drei Waschbecken, auf schlanken Säulen und mit Armaturen, ebenfalls aus Chrom. Alles ziemlich geschmackvoll, cool und modern, wie ich fand. Ansonsten: niemand da. Ich hielt die geschlossene rechte Faust vor den Mund und versuchte, Harry oder wen auch immer herbeizuhüsteln. Mit Erfolg.
Harry – wenn er denn wirklich Harry hieß, was ich aber bezweifelte, weil er viel eher nach Henning, Diether oder Detlef aussah – eilte aus einem Nebenraum herbei. Mit freudig überraschtem Gesichtsausdruck und einer weichen Geste seines rechten Arms, die man mit mehr Wohlwollen, als ich gerade bei mir hatte, auch als beiläufig elegant hätte bezeichnen können, wies er mir einen der Stühle zu und streifte mir geschwind, fast so, als wollte er mich wie ein seltenes Vögelchen in seinem leeren Laden einfangen, einen blauen Umhang über, natürlich nicht, ohne mir nicht vorher kratzendes Krepppapier um den Hals zu wickeln. So verwandelte ich mich in zwei kurzen Schritten in den bemitleidenswert dämlichen Anblick, wie ihn alle Kunden in sämtlichen Friseursalons der Welt abgeben. Aber außer mir selbst, und dem Friseur natürlich, sah mich ja keiner – wenigstens etwas.
»Grüß Gott, grüß Gottchen! Was kann ich für Sie tun?« singsangsummte Harry, während er mich verpackte.
»Ich weiß nicht. Haare schneiden vielleicht?«
»Ha, ha, ha! Das habe ich mir doch fast schon gedacht! Wie hätten Sie’s denn gerne?«
Heilige Kopflaus – das konnte ja heiter werden!
»Also, wenn ich den Laden so verlassen würde wie der nette junge Mann auf dem Bild in Ihrem Schaufenster, dann wäre das schon okay.«
»Na, dann schauen wir doch mal, was sich machen lässt, gelt?«
Gelt! Gell war ja schon reichlich doof, aber gelt? Na ja, man muss halt in jedem Beruf Opfer bringen, gelt?
»Ich glaube, ich arbeite am besten nass. Setzen Sie sich doch bitte da drüben an den ersten Waschtisch, ja?«
Er arbeitete also am besten nass. Hörte sich doch schon mal ziemlich professionell an. Ich machte mich auf den Weg zum Waschtisch, nahm Platz, beugte den Oberkörper weit nach hinten, bis ich fast waagerecht lag, den Hals in der Ausbuchtung des Waschbeckens, den Kopf vertrauensvoll in Harrys Hände gelegt. Und er machte seine Sache gut, massierte mir beim Waschen die Kopfhaut, gefühlvoll und genau richtig zwischen fest, aber nicht zu fest, zart, aber nicht zärtlich. Das war wirklich entspannend, und ich hätte mit Harrys gefühlvollen Händen im Haar am liebsten ein Nickerchen gemacht.
Leider dauerte die Prozedur viel kürzer, als es mir lieb war. Mit einem Handtuch auf dem Kopf nahm ich auf einem der Friseursessel vor der verspiegelten Wand Platz. Was ich im Spiegel sah, war der Tiefpunkt: blaues Lätzchen, Handtuch turbanartig auf dem Schädel und dazu auch noch dieser dämlich zufriedene Gesichtsausdruck. Ich zweifelte einen Moment lang daran, dass ich es war, den ich da im Spiegel sah, erkannte mich dann aber wieder, als ich mir selbst aufmunternd zuzwinkerte.
»Möchten Sie etwas zum Lesen? Eine Illustrierte? Oder vielleicht einen Kaffee?«, fragte Harry.
»Nein danke!«
Harry nahm mir das Handtuch vom Kopf und legte es über meine Schultern. Dann wuschelte und zupfte er mit spitzen Fingern an meinen Haaren herum, während er seinen Kopf abwechselnd und mit nachdenklichem Gesichtsausdruck zur linken, dann zur rechten und dann wieder zur linken Seite neigte. Der Meister war anscheinend in der kritischen Phase der Inspiration und Kreation! Für den Erfolg war wohl entscheidend, dass er dabei pausenlos die Backen blähte, auf denen seine langen Koteletten in keckem Schwung ausliefen, und die Luft dann mit Kussmündchen stoßweise ausblies. Ich wusste auch nicht genau, warum mir in diesem Augenblick die Koi-Karpfen aus Lappés Gartenteich wieder einfielen, denn die hatten ja gar keine Koteletten, wenn mich recht erinnerte.
Ich suchte Blickkontakt und fand ihn schließlich in dunklen Augen, die viel weniger fröhlich wirkten, als sie mir vormachen wollten.
»Einen schönen Laden haben Sie hier, alle Achtung! Ich hoffe, Rosenheim weiß das auch zu schätzen.«
Das Kussmündchen verlor die Form und ging in ein breites Grinsen über, irgendwo zwischen gequält und hoffnungsvoll.
»Na ja, als Botschafter des Stils und guten Geschmacks
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