KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
– Hubert Haunerdinger: Anfang bis Mitte fünfzig, leicht untersetzt, aber nicht dick, graues Gesicht mit grauem Vollbart und grauen Haaren, die, links vom Scheitel aus, in zwei exakt gleichen Wellen über den rundlichen Schädel rollten. Am interessantesten war seine Nase: sehr kurz, sehr rund, mit einem Geflecht grüner und blauer Äderchen, die sich da, wo die Nase unabänderlich zu Ende war, zu einem Delta vereinten.
Ich beschloss, die Initiative zu ergreifen, bevor er zur Frage ansetzte, womit er mir denn helfen könne.
»Grüß Gott, Herr Kollege. Ich komme von der Redaktion Chic aus München ...«
»... kenne ich gar nicht ...«
»... wir sind eine Art illustriertes Societyblatt, noch ziemlich neu, in der Startphase quasi. Jedenfalls ...«
»... in welchem Verlag erscheint die denn?«
»Verlag Morelli & Katz. Jetzt sagen Sie aber nicht, dass Sie den auch nicht kennen!« sagte ich so ungläubig wie möglich. Eine Methode, die meistens funktioniert: Man muss jemandem nur so offensiv wie möglich unterstellen, dass er etwas kennt oder zu kennen hat, dann kennt er es auch, obwohl er es gar nicht kennen kann.
Hubert Haunerdinger war einen Moment unschlüssig. Ich wartete darauf, dass er sich gleich sinnierend am Kopf kratzen würde. Vielleicht sogar an der Nase.
»Doooch, ich glaube, von dem habe ich schon gehört.«
Ich nickte nachsichtig: Na bitte, ging doch, warum nicht gleich so!
»Ich habe mir sagen lassen, dass keiner in Rosenheim und Umgebung so gut informiert ist wie Sie ...«
»... na ja, ich mache meine Arbeit schon seit dreißig Jahren, da hört und sieht und erlebt man natürlich schon so manches ...«
»... das kann ich mir denken! Deshalb würde ich Sie auch gerne um ihre kollegiale Hilfe bitten.«
»Was kann ich denn für Sie tun?«
»Ich bräuchte ein paar Hintergrundinformationen über die Familie Bunzenbichler aus Prutting, genauer: über diesen Unfall von Josef Bunzenbichler. Sie haben damals die Leiche gefunden, habe ich gehört.«
»Nicht ganz. Gefunden hat sie der Fischer Sepp.«
»Und wo könnte ich den finden? Lebt er noch in Rosenheim?«
»Ist leider vor ... warten Sie mal ... ja, vor ungefähr drei Jahren gestorben. Auch im Suff, der arme Kerl. War eigentlich ein ganz Anständiger. Aber er hatte immer ein bisschen Probleme mit dem Alkohol, ist arbeitslos geworden und hat dann einfach kein Bein mehr auf den Boden gekriegt. Traurig. Jedenfalls hat der Fischer Sepp den Bunzenbichler damals gefunden. Ist praktisch über die Leiche gestolpert.«
»Meine Güte, wie denn das?«
»Der Sepp war damals Brauereifahrer. Immer schon in aller Herrgottsfrühe unterwegs, wissen Sie, na ja, wie das eben so war. Jedenfalls hält er mit seinem Lkw frühmorgens am Straßenrand, um zu pinkeln, und stolpert dabei im Dunkeln über den toten Josef Bunzenbichler. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, man hat nämlich an der Leiche später Spuren von Urin gefunden. Vom Fischer Sepp.«
»Und wie ist es dann weiter gegangen, nachdem er die Leiche gefunden hatte?«
»Als Erstes hat er dann mich benachrichtigt.«
»Warum Sie und nicht die Polizei?«
»Das hatte er natürlich zuerst vor, aber die nächste Telefonzelle, die er fand, hat nicht funktioniert und Handys, wie sie heute jeder bei sich hat, gab es ja damals noch nicht. Deshalb hat er sich gleich wieder in seinen Lkw geschwungen und ist zu mir in die Redaktion gekommen.«
»Selbst auf die Gefahr hin, lästig zu erscheinen: Warum zu Ihnen und nicht zuerst zur Polizei?«
»Weil man am Telefon nicht riechen kann, ob jemand noch eine Ladung Restalkohol im Blut hat, aber Auge in Auge auf dem Polizeirevier natürlich schon, wenn Sie wissen, was ich meine. Und weil wir uns gut kannten, der Sepp und ich. Er konnte sich halt drauf verlassen, dass ich ihn nicht reinreiten würde. Vielleicht hat er aber auch einfach nur den Kopf verloren, was weiß ich? Ich meine, stolpern Sie mal im Dunkeln und beim Pinkeln über eine Leiche! Jedenfalls wusste Sepp, dass ich meistens ab halb fünf oder fünf Uhr schon in der Redaktion war. Damals war ich halt noch jung, ehrgeizig und belastbar. Jetzt bin ich nur noch jung und ehrgeizig.«
Er machte eine Kunstpause, damit ich seinen spritzigen Scherz auch gebührend würdigen konnte. Ich tat ihm den Gefallen und lächelte, so breit ich angesichts der schmalen Pointe nur konnte.
»Ich habe dann also von der Redaktion aus die Polizei alarmiert und bin gleich danach rausgefahren zum Unfallort. Fotos machen und so.
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