KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
Semmelknödel und Krautsalat. Wenn der Schweinebraten »ofenfrisch« war, fragte ich mich, was waren dann die anderen Sachen? Mikrowellen-gammlig? Egal, mit einem Schweinebraten konnte man wahrscheinlich nicht viel falsch machen.
»Und was darf’s zu trinken sein?«, fragte der Wirt Sonia.
»Mineralwasser, bitte, aber ...«
»... ohne Zitronenscheibe, wenn’s geht, richtig?«
»Richtig!«
Eingehüllt in eine Geräuschwolke aus Gläserklirren und Besteck-Geklimper, dem dumpfen Krachen, mit dem jemand Spielkarten auf eine Tischplatte drosch und Gesprächsfetzen in verschiedensten Tonlagen warteten wir auf unser Essen.
Ich erzählte Sonia, was ich von Harrys Mutter und vom Redakteur des Rosenheimer Tagblatts erfahren hatte. Über die eigenartigen Umstände von Josef Bunzenbichlers Unfall, über die kleine, aufgeweckte Maria, die sich im Laufe der Jahre aus irgendwelchen Gründen immer mehr in sich zurückgezogen hatte, über das mysteriöse halbe Jahr, währenddessen sie komplett von der Bildfläche verschwunden war. Und von einem Freund mit Vornamen Toni, dem einzigen Jungen, der sich vom alten Bunzenbichler nicht hatte einschüchtern lassen. Sonia hörte mir aufmerksam zu, warf zwischendurch immer wieder einen Blick auf die Fotos von Bunzenbichlers Leiche im Straßengraben und schüttelte den Kopf. Hin und wieder meinte ich, ihren Magen knurren zu hören. Kann aber auch meiner gewesen sein.
»Marias Freund hieß übrigens mit Nachnamen Mooseder«, sagte sie. »Aber bevor ich weiter erzähle, muss ich etwas essen, sonst falle ich auf der Stelle in Ohnmacht!«
Der Wirt des »Goldenen Hirschen« steuerte mit einem Tablett in den Händen auf unseren Tisch zu und stellte schnaufend die gegrillte Hühnerbrust vor Sonia ab und vor mir den Schweinebraten mit den riesigen Semmelknödeln, die, wenn man sie orange angestrichen hätte, problemlos als Basketbälle durchgegangen wären. Dazu – er war wirklich ein aufmerksamer Bursche! – ein frisches, prickelndes Bier.
»Also«, fuhr Sonia fort, die Wangen rund, als wollte sie sich sicherheitshalber in den Backentaschen einen kleinen Wintervorrat anlegen, »die Besitzerin der kleinen Modeboutique hat mir verraten, dass der alte Bunzenbichler ein ganz schöner Frauenheld gewesen sein muss. Das heißt, so ist das nicht ganz korrekt ausgedrückt: Genau genommen war er ein sexbesessener Tyrann. Einmal soll er sich sogar eine Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Bein eingefangen haben, als er bei den Achleitners mit einer Leiter einsteigen wollte. Am Ende der Leiter wurde er aber nicht von der feschen Resl, sondern von ihrem Vater in Empfang genommen, und zwar mit einer gusseisernen Bratpfanne! Spätestens von da an ging’s im ganzen Ort herum: Bunzenbichler hatte eine Vorliebe für junge Frauen, für entschieden zu junge Frauen, Mädchen eigentlich. Und das wurde im Lauf der Zeit anscheinend immer krankhafter, das heißt: er immer älter, die Mädchen immer jünger. Wenn er noch leben würde, wäre er heute wahrscheinlich ein eifriger Besucher in diesen widerlichen Internetforen. Pfuideibel!«
Sonia war ganz schön in Fahrt und deutlich empört. Sah ich an ihrem gekräuselten Näschen. Ich hielt es für das Beste, jetzt mal eine Landeklappe auszufahren.
»Und was ist mit diesem Toni? Wie hieß er noch gleich? Muss ... ? Moss ... ?«
»Mooseder. Die Familie betreibt seit Generationen ein Sägewerk in Haidham, einem kleinen Nest ganz in der Nähe von Prutting. Toni Mooseder und Maria waren ungefähr drei Jahre zusammen. Bis zu dem Zeitpunkt, als Maria nach München ging. Anscheinend hat sie ihm dann den Laufpass gegeben.«
»Weiß man auch, warum? Wäre doch eigentlich gar keine schlechte Partie gewesen, der künftige Besitzer eines Sägewerks, oder?«
»Das habe ich mich auch gefragt. Und nicht nur mich, sondern auch die Inhaberin der Bäckerei, übrigens eine sehr liebenswürdige ältere Frau, deren Rosinensemmeln das reinste Gedicht sind. Himmlisch! Was wollte ich sagen? Ach so: Die Sache mit dem Sägewerk hat einen Haken. Es gibt da schon seit Generationen das Gesetz, dass das Sägewerk ausnahmslos auf den Erstgeborenen übertragen wird. Die anderen Söhne können sich zu Meistern ausbilden lassen, müssen dann aber das Werk verlassen. Oder sie bleiben, aber dann wiederum nur als Geselle, mit einem anständigen Lohn und einem Gewinnanteil jedes Jahr. Aber Riesensprünge scheint man damit nicht machen zu können, jedenfalls nicht so große wie mit einer
Weitere Kostenlose Bücher