KATZ oder Lügen haben schlanke Beine (German Edition)
fetten Hintern treten sollte. Das Vieh konnte anscheinend Gedanken lesen, gähnte gelangweilt und stolzierte von dannen. Mit erhobenem Schwanz, auf den ich gerne mal gestiegen, und wackelndem Hintern, in den ich ebenso gerne mal getreten hätte. Nicht dass ich Katzen nicht mochte. Aber diesen Kater hier, wenn überhaupt, am liebsten gut durchgebraten.
Ich schaute mich um. Ein Detektiv schaut sich immer um, wenn er kann. Und ich bin Detektiv. Obwohl: Ich habe mich auch immer schon gerne umgeschaut, als ich noch keiner war. Aber das ist ein anderes Thema.
Im Teich zogen die Koi-Karpfen ihre Runden, stumm und doof, aber immerhin schön bunt. Ich hatte das Gefühl, dass es weniger waren als letztes Mal. Ungefähr fünftausend Euro weniger. Was für ein schönes und teures Hobby! Na ja, kannte ich ja alles schon. Also am besten etwas Neuland erobern und ab in die Hütte. Gute Gelegenheit, keiner da, außer Elfriede im ersten Stock.
Ich ging zurück ins Wohnzimmer, dann nach rechts durch eine weiße Tür mit goldener Klinke in der Küche. Ungefähr so groß wie zwei Fußballfelder und mit allem ausgestattet, was man zum Braten eines Rühreis oder, falls nötig, auch für einen Flug zum Mars so alles benötigte. Zu meiner Überraschung war die Küche nicht so verlassen, wie ich dachte. Am Kopfende des großen, weiß lackierten Esstischs saß Vanessa, ziemlich verloren, den Kopf in die rechte Hand gestützt, und guckte mich gleichzeitig erstaunt und muffig an.
»Hi, Arno! Du bist schon da? Ich habe gar nicht gehört, wie du gekommen bist. Und, wie geht’s? Endlich was Neues über Gottfried rausgekriegt?«
»Hallo Vanessa!«, sagte ich und lehnte mich gegen die Arbeitsplatte, die mit allen möglichen Elektrogeräten gut bestückt war. »Nein, über Gottfried im Moment leider keine Neuigkeiten.«
»Hab ich schon befürchtet.« Sie stand auf, ging zum Kühlschrank, nahm sich ein Stück Käse heraus und nagte lustlos daran herum.
»Sag bloß, das ist dein gesamtes Mittagessen?«
»Nee, das steht in der Mikrowelle. Wie immer.«
An der Mikrowelle klebte ein gelber Post-it-Zettel. Ich las: ›Haben heute Turnier, danach Bridge. Wird also wieder später. Wenn du das Essen nicht magst, lass dir doch eine schöne Pizza von Luigi kommen‹.
Diese verdammten Post-it-Zettel kannte ich aus meiner Kindheit selber zur Genüge: Schrieb mir meine Mutter dauernd, weil wir uns so wenig sahen. Wenn ich aus der Schule kam, ging sie zum Dienst, wenn sie vom Dienst kam, war ich im Bett. Deshalb immer diese kleinen, in meinem Fall giftgrünen, Post-it-Zettel an der Küchentür – ›Das Essen steht im Kühlschrank, Königsberger Klopse, lass es dir schmecken!‹
Dass meine Mutter sich mit Sicherheit genauso einsam und vernachlässigt fühlte wie ich, habe ich erst später begriffen. Ohne Murren hielt sie ihr eintöniges Leben durch und funktionierte einfach, Tag für Tag, so wie sie selbst und alle anderen es von ihr erwarteten. Bis zu meiner Volljährigkeit. Oder genauer: bis eine Woche nach meinem achtzehnten Geburtstag. Da kündigte sie den Vertrag, und zwar, wie gewohnt und so knapp wie nüchtern, per Post-it: ›Das Essen steht im Kühlschrank, es gibt Spaghetti mit Tomatensoße, lass es dir schmecken!‹ Und auf einem zweiten Zettel, darunter geklebt: ›P.S.: Sag’ Deinem Vater, dass ich ihn verlassen habe. Macht’s gut und lebt wohl. Bis irgendwann mal‹.
Dann war sie tatsächlich verschwunden. So weit weg wie möglich, und zwar nach Hamburg. Um dort zu finden, was sie immer gesucht hatte: Zuwendung, Unterstützung, Anerkennung, vielleicht sogar Liebe. Allerdings schien es auch in Hamburg mit ihrem Urteilsvermögen nicht weiter her zu sein als in München: Sie lebte jetzt nicht mehr mit einem Fernfahrer zusammen, dafür aber mit einem Handelsvertreter. Und ich hoffte für sie, dass der sich nicht auch abends in mittelmäßigen Hotels mit diversen Frauen in Gespräche über seine Befindlichkeiten einließ.
Als ich meinen Zivildienst hinter mir hatte und schon lange nicht mehr sauer auf sie war, habe ich meine Mutter besucht. Dreizimmerwohnung in Hamburg-Altona. Spitzendeckchen, Mahagoni-Schrankwand mit riesigem Fernseher, Sitzgarnitur mit zwei Sesseln und Dreiersofa, dazwischen niedriger Couchtisch mit cremefarbenen Blümchenfliesen, Läufer auf Teppichboden, Strohblumen an der Wand. Rührend grässlich. Aber ich freute mich, sie endlich mal wieder zu sehen.
Sie freute sich auch. Trotzdem hatten wir uns nicht viel zu sagen.
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