Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
hatten sie
geplaudert, Lotte hatte die Großmutter mit Beschlag belegt, was Nadine ganz recht
gewesen war, denn die Kleine war unbefangen und fröhlich und hatte viel zu erzählen.
Nun war
sie in ihrem Zimmer, um mit den Handpuppen zu spielen, die die Großmama ihr mitgebracht
hatte, und Nadine trug den Kaffee herein.
»Und was
habt ihr jetzt vor?«, fragte Greta.
Nadine zuckte
zusammen. Jetzt kommt es doch noch, dachte sie. Jetzt geht sie zum Angriff über.
Stefan reagierte ganz unbefangen. »Im Sommer, meinst du? Allzu weit wegfahren wollen
wir nicht mit der Kleinen. Wir werden vielleicht eine Ferienwohnung im Tessin mieten.«
Ach, Stefan,
dachte Nadine.
»Das meinte
ich nicht«, gab seine Mutter zurück. »Was habt ihr vor mit diesem Kind?«
Stefan,
dem jetzt aufging, dass die Auseinandersetzung eröffnet war, blieb ganz ruhig. »Wir
wickeln sie, wir füttern sie, in anderthalb Jahren wird sie zu laufen beginnen und
in etwa zwei Jahren zu sprechen. In fünf Jahren kommt sie in den Kindergarten und
in sieben Jahren in die Schule.«
»Hör auf«,
Greta machte eine gereizte Handbewegung, »ihr könnt nicht so tun, als ob es ein
normales Kind wäre. Dieses Kind ist eine Abnormität, das wisst ihr genau.«
»Luzia ist
gesund und entwickelt sich bis jetzt völlig normal«, sagte Stefan schneidend.
Wie konnte
ich mir einbilden, dass dieser Tag nicht in einer Katastrophe enden würde, dachte
Nadine.
»Normal?
Mit diesem Kind könnt ihr nirgends hingehen. Die Leute werden mit dem Finger auf
euch zeigen.«
»Andere
Familien haben auch ein behindertes Kind, das sie nicht verstecken«, wagte sich
Nadine vor.
Greta ignorierte
sie. Sie wandte sich nur an ihren Sohn. »Ihr müsst das Kind in ein Heim geben. Ihr
könnt es ja ab und zu besuchen. Alles andere ist Unsinn. Ihr könnt ein weiteres
Kind haben, ein normales. Habt ihr schon mal an Lotte gedacht? Wie das für sie ist,
mit einem solchen Geschwister aufzuwachsen?« Jetzt redete sie sich in Rage. Das
hat sie alles vorbereitet, dachte Nadine.
»Habt ihr
überhaupt abgeklärt, woher diese – diese Anomalie herrührt?« Jetzt traf Nadine ein
eisiger Blick. »Vielleicht müsste deine Frau einmal einen Gentest machen, um zu
wissen, was sie für Erbanlagen hat. Von dir, Stefan, kommt das sicher nicht.« Und
wieder zu Nadine: »Hast du uns etwas verschwiegen? Gibt es noch weitere abnorme
Leute in eurer Familie?«
Nadine war
starr vor Entsetzen. Ihr Herz raste, wenn ihr die Knie nicht so gezittert hätten,
wäre sie aufgesprungen und hinausgerannt.
»Stopp«,
rief Stefan, »es reicht!« Nadine hatte ihn selten so aufgebracht gesehen. »Das ist
meine Familie, Nadine, Lotte und Luzia. Wenn du sie nicht respektieren kannst, lass
es bleiben. Wir kommen auch ohne dich zurecht.«
»Ist das
ein Hinauswurf? Du weist deine eigene Mutter aus dem Haus?«
»Mutter«,
sagte Stefan leiser, aber bestimmt, »ich werfe dich nicht aus dem Haus. Aber ich
lasse nicht zu, dass du meine Frau und meine Tochter beleidigst. Wie Luzias Gendefekt
entstanden ist, wissen wir nicht. Vermutlich hat er weder mit Nadine noch mit mir
etwas zu tun. Aber wenn, kann es genauso gut von meiner Seite her gekommen sein.
Das interessiert uns gar nicht. Luzia ist, wie sie ist, und sie ist unsere Tochter.«
Greta gab
noch nicht auf. »Macht euch doch nichts vor. Ich habe mir im Internet Bilder von
solchen Menschen angeschaut. Es sind Monster, sie sehen einfach abscheulich aus.
Man kann sie weder heilen noch irgendwie herrichten. Wenn es wenigstens ein Junge
wäre. Aber ein Mädchen –«
Stefan warf
einen kurzen Blick auf Nadine und erschrak. Ihr Gesicht war grau und völlig zusammengefallen.
»Mutter«,
sagte er, »ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt.«
»Warum streitet
ihr?« Das war Lotte. Ihr Gesicht wirkte verschreckt, vielleicht hatte sie schon
eine ganze Weile zugehört.
»Wer ist
ein Monster? Und warum muss Großmama schon gehen? Ich wollte doch noch spielen mit
dir.«
Greta wandte
sich zu ihr, strich ihr über die blonden Locken. »Armes Kind«, murmelte sie.
Stefan blieb
unnachgiebig. »Wir können ein anderes Mal reden, aber für heute ist es besser, wenn
du jetzt gehst.«
Lotte begann
zu weinen.
Greta erhob
sich, schwer atmend. »Gut, ich gehe. Man will hier offenbar die Stimme der Vernunft
nicht hören.«
Stefan brachte
sie eilends hinaus und suchte ihre Sachen zusammen. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen.
Lotte weinte immer noch. Aus dem Kinderzimmer kam nun noch Luzias
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