Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
immer bestens
verstanden. Eliane war lebhaft und offen, Nadine ruhiger, zurückhaltender, sie hatten
sich gut ergänzt. Und jetzt dieser Brief. Dieser Tonfall. Wie konnte das sein? Die
Taktlosigkeit der dummen alten Frau Kösch. Die blöde Bemerkung von Melanies Mutter,
die sie nicht persönlich kannte. Gut, damit musste man rechnen. Aber Eliane? Die
unbekümmerte, herzliche Eliane?
Im Kinderzimmer
begann Luzia zu schreien. Bitte nicht, dachte Nadine und blieb einfach am Küchentisch
sitzen. Luzia wurde lauter. Nadine hielt sich die Ohren zu. Es nützte nichts. Sie
sprang auf, eilte ins Bad und übergab sich. Es half ein wenig. Sie trank ein Glas
Wasser und ging dann ins Kinderzimmer. Luzias Gesichtchen war verzerrt, sie war
es nicht gewöhnt, warten zu müssen. »Armes Kind«, murmelte Nadine und nahm sie auf.
Sie spürte die Wärme des Babys an ihrem Körper, sein Atmen, roch den Babyduft. Sie
setzte sich, mit der Kleinen im Arm, wieder an den Küchentisch und brach in Schluchzen
aus. Luzia wurde still.
»Selbstverständlich lassen wir sie
taufen«, sagte Stefan fest. Es war Abend, Lotte war schon im Bett. »Wir finden schon
jemanden. Ich könnte meine Cousine Silvia fragen.«
»Stimmt,
sie ist Krankenschwester. Sie wird vor nichts zurückschrecken«, meinte Nadine.
»Sei nicht
sarkastisch, Nadja.« Stefan strich ihr übers Haar.
»Mir ist
gewiss nicht nach Sarkasmus zumute«, versicherte Nadine. »Ich glaube, es ist einfach
so. Ich hätte das nie von Eliane gedacht.«
»Komm, wir
vertagen das Thema. Es eilt ja nicht. Sag, wäre es dir lieber, wenn wir den Besuch
meiner Mutter noch etwas hinausschieben?«
Nadine schüttelte
den Kopf. »Nein, es muss ja mal sein. Von ihr erwarte ich ohnehin keine Unterstützung,
gegen ihre Sticheleien kann ich mich wappnen. Ich kenne das ja schon.«
Stefan seufzte
und verwünschte im Stillen seine Mutter. Warum konnte sie sich nicht benehmen? Wenigstens
anständig sein zu Nadine? Ihre selbstgerechte Art, ihr Hochmut gingen ihm auf den
Geist. Aber den Kontakt abbrechen zu ihr konnte er nicht, sie war doch seine Mutter.
Und Lotte liebte die Großmutter. Zu Lotte war sie nett. Sie war ja auch ein Enkelkind,
auf das man stolz sein konnte.
Die Wohnzimmertür,
die nur angelehnt gewesen war, öffnete sich einen Spalt, und Lotte schlüpfte hinein.
»Ich habe Durst, ich kann nicht einschlafen.« Dann: »Seid ihr traurig?«
»Nein, nein,
Lotti, wir müssen nur über etwas Ernstes reden«, beruhigte sie der Vater.
»Über Luzia?«
»Nein, mit
Luzia ist alles in Ordnung, sie schläft.«
»Ist es
wegen Eliane?«
Hatte dieses
Kind hellseherische Fähigkeiten? Nein, sie hatte wohl einfach gelauscht. Kinder
hatten ein feines Gespür für das, was untergründig ablief. Sie verstanden die Dinge
oft nicht richtig, aber sie merkten, wenn etwas nicht stimmte.
»Ist Eliane
nicht mehr Mamas Freundin?«
»Ach, Lotti,
das kann ich dir jetzt nicht erklären, das verstehst du nicht.«
»Melanie
ist auch nicht mehr meine Freundin.«
»Komm«,
griff Stefan ein, »ich gieße dir ein Glas Tee ein und bringe dich nochmals ins Bett.«
Er ging
mit ihr hinaus.
Das Essen war vorüber, Nadine wagte
es, sich ein bisschen zu entspannen. Greta schien in gnädiger Stimmung zu sein.
Nadine hatte sich große Mühe gegeben. Sie hatte den Tisch schön gedeckt, nicht in
der Küche, wo die Familie normalerweise aß, sondern im Wohnzimmer, darauf legte
Stefans Mutter Wert, ihr Lieblingsessen gekocht, Zürcher Geschnetzeltes, das war
gut angekommen, eine gute Flasche Wein geöffnet. Sie hatte Lotte hübsch angezogen
und ihr eingeschärft, nicht vorlaut zu sein und nicht gleich nach Geschenken zu
fragen. Sie hatte Luzias Gesicht und Hände rasiert und sie kurz vor dem Eintreffen
der Großmutter gefüttert, gewickelt und frisch angezogen. Mehr kann ich nicht tun,
hatte sie resigniert gedacht, während sie in ein lindgrünes Kleid schlüpfte und
eine Brosche, die von Gretas Mutter stammte, feststeckte. Sie tuschte die Wimpern
und legte ein wenig Lippenstift auf. Seit Ewigkeiten habe ich mich nicht mehr geschminkt,
fiel ihr auf. Ich will wieder mehr auf mein Äußeres achten. Sie war sehr nervös
gewesen, als Greta hereingekommen war, Greta, mit ihren fünfundsiebzig Jahren wie
immer elegant, das graue Haar in Wellen gelegt, in einem teuren Kostüm, die Nägel
dezent rosa lackiert. Nadine trug die schlafende Luzia auf dem Arm. Greta hatte
nicht viel gesagt, aber wenigstens auch nichts Taktloses. Beim Essen
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