Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
Kaisern, Königen,
Herzoginnen, Infanten, alle kostbar gekleidet, geschmückt und frisiert, alle mit
hellen Gesichtern, unbehaart, mit rosigen Wangen und glatten Stirnen. Auch die Kinder
waren in bestickte Mäntelchen mit Halskrause gezwängt, sicher furchtbar unbequem
beim Spielen, aber, so las Leon in einer Bildunterschrift, die Kleinen lernten ein
Instrument spielen, bevor sie sprechen konnten, mit drei Jahren wurde ihnen das
Lesen beigebracht, und ab sieben Jahren wurden sie als erwachsen betrachtet. Immerhin
hatte die einjährige Erzherzogin Katharina Renea eine Puppe mit aufs Bild nehmen
dürfen. Und vermutlich hatte sie, während sie dem Maler Modell sitzen musste, nicht
die ganze Zeit so brav und gelassen dreingeschaut wie auf dem Bild.
Die Bilder
mit den Haarmenschen seien in der Kunst- und Wunderkammer, hatte ihm ein junger
Mann, der als Aufsicht durch die Räume wanderte, erklärt. Und nun stand er davor.
Vor dem fast lebensgroßen Porträt von Petrus Gonsalvus, einem aus Teneriffa gebürtigen
Mann, der zuerst am Hof Heinrichs II. eine Ausbildung genossen hatte, dann an den
Hof von Königin Margarete von Österreich gekommen und schließlich mit ihr nach Parma
gegangen war. Er trug einen langen schwarzen Mantel, der rot eingefasst war. Über
der weißen Halskrause ein bärtiges Gesicht, und der Haaransatz war gleich oberhalb
der Augenbrauen. Er hatte vier Kinder gehabt, drei Töchter und einen Sohn, und alle
waren ebenfalls behaart gewesen.
Neben ihm
hing das Porträt seiner ältesten Tochter, Madleine Gonzalez. Sie mochte etwa fünf
Jahre alt sein. Sie trug ein langes, grünliches, mit Edelsteinen besetztes Kleidchen,
das ihr in weiten Falten um den Körper fiel. Um den Hals trug sie ein großes Kreuz,
auf dem Kopf ein Diadem. Sie hatte ein rundes Gesicht, große Augen, einen kleinen
Mund, ein Grübchen am Kinn. Sie schaute ernst, schien sich der Würde, gemalt zu
werden, bewusst zu sein, aber ihr Blick war auch ein bisschen ängstlich oder traurig,
so kam es Leon vor. Und ihr Gesichtchen war mit Haaren bedeckt. Wie ein Kätzchen,
dachte Leon und er glaubte, Lottes Stimme zu hören. Die Hände waren schmal und unbehaart.
Das Bild berührte ihn tief. Er las den Text zum Bild. Madleine war 1575 geboren
worden. Sie heiratete 1593 den Hundeführer des Herzogs von Parma und hatte mit ihm
eine Tochter, Caterina, die ebenfalls ein Haarmensch war. Leon trat zurück und betrachtete
die Bilder aus etwas Distanz. Über Madleine hing ein Porträt ihres Bruders, jünger
als sie, in einem roten Mäntelchen und Mützchen. Auch sein Gesicht war von Haaren
bedeckt. Die Gemälde waren nicht sehr gut beleuchtet, nicht viele Leute blieben
vor ihnen stehen. Leon ließ die Bilder ein paar Minuten auf sich wirken, dann ging
er hinaus, ohne die anderen Exponate zu beachten. Im Souvenirshop kaufte er ein
paar Ansichtskarten von Madleine und Petrus und setzte sich damit ins Gartenrestaurant
des Schlosses.
Es war heiß,
und er war durstig. Er bestellte sich ein Wasser und ein großes alkoholfreies Bier.
Er legte die Karten vor sich hin. Wie hatte es in der Bildlegende geheißen? Die
Haarmenschen hätten unter medizinischen, naturwissenschaftlichen und mythologischen
Aspekten zu ihrer Zeit großes Interesse erregt. Waren sie untersucht worden, vermessen,
getestet, bestaunt? Hatten sie darunter gelitten oder die Aufmerksamkeit, das Bewusstsein,
etwas Besonderes zu sein, genossen? Sicher waren sie nicht auf Jahrmärkten ausgestellt
worden, sie hatten ja zum Hof gehört. Petrus Gonsalvus wirkte würdevoll. Na ja,
er hatte, zumindest in bekleidetem Zustand, nur etwas zu viel Bart, dachte Leon.
Aber das kleine Mädchen? War es ausgelacht worden von den anderen Kindern? Hatten
ihm die Erwachsenen über den Kopf gestreichelt oder waren sie zurückgeschreckt?
Jedenfalls war sie nicht ausgestoßen, nicht versteckt worden. Nein, sie war gemalt
worden, in einem kostbaren Kleidchen. Mit achtzehn Jahren hatte sie geheiratet wie
jedes andere Mädchen auch, und sie hatte ein Kind gehabt. Leon wusste, dass sich
in früheren Zeiten die Menschen weniger schwergetan hatten mit körperlichen Unvollkommenheiten.
Man hatte ja auch nichts dagegen tun können. Da es keine Schönheitsoperationen gegeben
hatte, waren vielleicht auch die Normen nicht so streng gewesen. Aus den spärlichen
Informationen zu schließen, hatte Madleine ein ganz normales Frauenleben geführt.
Was hatte sie empfunden, wenn sie in den Spiegel geschaut hatte? Hatte sie
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