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Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Katzenbach: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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das Kind vier Monate alt ist«, ermahnte er Nadine.
»Frau Evren kann Ihnen gleich einen Termin geben.«
    Nadine nickte.
Sie zog Luzia wieder an, mit langsamen Bewegungen, als ob sie ganz ungeübt wäre
und Angst hätte, etwas falsch zu machen, und ging hinaus, um sich ein Kärtchen geben
zu lassen.
     
    Doktor Capeder saß am Schreibtisch
und vervollständigte seine Notizen. Sibel fasste sich ein Herz. »Ich hatte den Eindruck,
dass es Frau Attinger gar nicht gut geht«, begann sie.
    Capeder
schaute auf.
    »Sie hat
ihr Baby gehalten, als ob es ein Gegenstand wäre«, fuhr sie fort. »Sie wirkt so
niedergeschlagen. Vielleicht ist sie überfordert.« Sie hielt inne.
    »Ich sehe
keine Anzeichen, dass sie das Kind nicht gut versorgt«, wandte er ein. »Es ist gesund,
gut ernährt, munter.«
    »Ich habe
trotzdem das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Auch das ältere Mädchen ist so verändert.
Früher war sie lebhaft, spielte, plauderte. Heute war sie so still, fast verängstigt.«
    »Auch Kinder
haben manchmal Kummer«, sagte Capeder, »das vergeht schon wieder.«
    Sibel war
nervös, aber da sie nun einmal angefangen hatte, wollte sie sich nicht gleich abspeisen
lassen. »Denken Sie doch, wie furchtbar es ist, ein solches Kind zu haben. Mir würde
es das Herz abdrücken. Ich meine, dieses Baby wird nie ein glückliches, normales
Leben führen können.«
    »Man kann
später wahrscheinlich mit Laserbehandlungen etwas machen.«
    Aber Sibel
hatte auch im Internet recherchiert. »Man kriegt die Haare nicht vollständig weg.
Luzia wird nie einen Mann finden, der sie liebt. Was ist denn das für ein Leben.
Und was für ein unerträglicher Gedanke für eine Mutter!«
    »Einen Mann
zu finden, ist wohl nicht das einzige lohnende Lebensziel«, sagte Capeder etwas
sarkastisch. Er wollte einfach nicht begreifen, dachte Sibel.
    »Ohne Liebe
zu leben, so auszusehen, dass sich jeder von einem abwendet, das ist doch das Schlimmste,
was einem geschehen kann! Warum muss ein solches Kind leben?«, fragte Sibel verzweifelt.
»Es wird nur Unglück erleben. Warum kann es nicht sterben?«
    »Schluss
jetzt«, Capeders Stimme war deutlich ungehalten. »Wenn Sie bei mir arbeiten wollen,
schminken Sie sich solche Ideen ein für alle Mal ab. Als Arzt setze ich alles daran,
dass jedes Kind, das zu mir kommt, gesund wird oder bleibt und lebt. Für das Glück
bin ich nicht zuständig.«
    »Entschuldigung,
ich hatte es nicht so gemeint«, murmelte Sibel und ging hinaus. Wie hatte sie sich
nur so vergessen können? Und doch, ihr Eindruck blieb. Diese Mutter wurde ganz und
gar niedergedrückt von der Last, ein solch abnormales Baby zu haben. Und nicht nur
die Mutter war unglücklich und überfordert. Auch die kleine Lotte litt. Aber was
konnte man dagegen tun? Nichts. Vielleicht psychologische Unterstützung. Aber das
getraute sie sich Doktor Capeder nicht vorzuschlagen. Sie war nur die kleine Praxisassistentin,
neu und unerfahren. Mir fehlt die professionelle Distanz, gestand sie sich ein.
Sie zerfloss ja schon vor Mitleid, wenn ein grippekrankes Kind im Wartezimmer vor
sich hin weinte. Sie seufzte. Ich kann nicht einmal mit Markus darüber reden, dachte
sie, wegen der Schweigepflicht. Und ich kenne keinen Psychologen, den ich um Rat
fragen könnte. Sie warf einen Blick aus dem Fenster zur Tramhaltestelle. Dort standen
sie, die kleine traurige Familie, dicht beieinander, als ob eine unsichtbare Wand
sie von den übrigen wartenden und vorübergehenden Passanten trennen würde.
     
    Nadine drückte Lotte ein letztes
Mal an sich. »Ciao, meine Kleine, hab ein schönes Wochenende, sei brav, morgen Abend
kommen wir wieder.«
    Leon lachte.
»Haut jetzt ab, ihr beiden, lasst es euch gut gehen; das ist ein Befehl!«
    Nadine und
Stefan setzten sich ins Auto. »In der obersten Kommodenschublade ist ein Reserveschnuller
für Luzia«, rief Nadine noch. Leon winkte ab. Schon gut, Schwesterchen, sagte seine
Geste, mach dir keine Sorgen. Er ging ins Haus, auf dem einen Arm das Baby, an der
anderen Hand die Große. Um das Grüppchen herum tänzelte Benja.
    Stefan startete
den Wagen, und sie bogen in die Straße ein, Richtung Autobahn.
    Es war Leons
Idee gewesen. »Ihr braucht doch wieder mal ein bisschen Zeit für euch«, hatte er
eines Abends gemeint, als er bei ihnen gegessen hatte, die Kinder im Bett lagen
und sie beim Kaffee saßen. »Ihr seht müde aus. Überlasst mir doch ein Wochenende
die Kinder und fahrt weg.«
    »Nein, das
geht nicht«, hatte Nadine sofort

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