Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
ja nicht gearbeitet, war
nur zu Hause beim Kind. Das muss man sich halt leisten können. Ich bringe meine
beiden allein durch, ich kann nicht nur spazierengehen. Jedenfalls, eine normale
Familie, bis eben das zweite Kind so missgebildet zur Welt kam. Seither haben sie
sich ganz zurückgezogen. Ich habe mich schon gefragt, ob die Frau eine Depression
hat. Das Baby habe ich nur einmal kurz gesehen, es sah schon schlimm aus. Vielleicht
ist es besser, dass es sterben konnte.«
Als Streiff aus dem Haus trat, kam
Elmer ihm entgegen. »Greta Attinger war gestern Vormittag da, die Mutter von Stefan
Attinger«, meldete sie. »Und er selbst auch«, ergänzte Streiff. »Komm, das müssen
wir klären.« Sie klingelten bei den Attingers. Stefan öffnete. Er wirkte übernächtigt,
war unrasiert, barfuß. Er bat sie in die Küche. »Meine Frau hat sich nochmals hingelegt«,
sagte er. »Ich versuche, Lotte ein bisschen abzulenken. Sie spricht nicht, sie hat
seit gestern kein Wort gesagt. Ich habe mit ihr ein Bilderbuch angeschaut und die
Geschichte erzählt. Aber ich weiß nicht, ob sie zugehört hat.« Lotte erschien in
der Küchentür, eine Plüschkatze an sich gedrückt. »Ich muss ein bisschen mit den
Polizisten reden«, erklärte ihr der Vater. »Ich komme nachher wieder zu dir.« Die
Kleine verschwand, und Stefan schloss die Küchentür.
»Wie geht
es Ihrer Frau?«, fragte Zita Elmer.
»Schlecht.
Der Hausarzt war gestern da und hat ihr Beruhigungs- und Schlafmittel verschrieben.
Aber das ist doch keine Lösung.« Stefan wirkte hilflos. »Ich weiß nicht, wie sie
das überstehen kann. Zu einer Psychologin will sie keinesfalls.«
Streiff
kam zur Sache. »Sie waren gestern Vormittag hier, nicht wahr? Warum?«
»Ja«, gab
Attinger zu. »Aber ich bin nicht ins Haus gegangen. Ich war im Büro und ich habe
mir Sorgen gemacht, ich war einfach unruhig, ich wusste selbst nicht, warum. Da
bin ich hergefahren, ich wollte sehen, ob alles in Ordnung ist. Aber als ich hier
war, kam ich mir plötzlich so dumm vor. Überbesorgt. Wie hätte ich es Nadine erklären
sollen? Es hätte so gewirkt, als vertraute ich ihr nicht, als zweifelte ich an ihr.«
»Vertrauten
Sie ihr denn, oder haben Sie an ihr gezweifelt?«
Der Mann
schloss einen Moment die Augen. »Ich weiß es nicht. Ich habe sie bewundert dafür,
wie sie mit der Situation umgehen konnte, wie vorbehaltlos sie Luzia liebte. Ich
– ich hatte Luzia auch lieb, aber anfangs hatte ich Mühe mit ihr, mit ihrem Aussehen.
Nadine nicht. Und doch war Nadine unglücklich, das habe ich gespürt.«
»Haben Sie
denn miteinander darüber geredet?«, fragte Elmer.
Attinger
schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte nicht, dass sie merkte, dass ich die Kleine
zuerst nicht akzeptieren konnte. Ich hätte mich vor ihr geschämt.«
»Und Ihre
Frau? Hat sie Ihnen vielleicht auch nicht alles erzählt, weil sie sich vor Ihnen
geschämt hätte?«
»Wenn ich
das bloß wüsste. Vielleicht haben wir einander gegenseitig etwas vorgespielt. Jetzt
ist es zu spät für alles.«
»Sind Sie
gestern Morgen aus dem Auto gestiegen?« Das war wieder Streiff.
»Nein.«
»Sie sind
nicht zu Luzias Kinderwagen gegangen?«
»Nein. Warum
fragen Sie mich das? Sie nehmen doch nicht etwa an, dass ich mein eigenes Kind …«,
Attinger brach ab.
»Wir wissen
nur, dass Sie hier waren, kurz bevor Luzia verschwand«, sagte Streiff.
Der Mann
wurde blass, er sagte nichts, schüttelte nur den Kopf.
»Sind Sie
vielleicht hergekommen«, fuhr Streiff ruhig fort, »weil sie fürchteten, Ihre Frau
könnte dem Kind etwas antun? Dass sie die Situation nicht mehr aushielt?«
»Haben Sie
wirklich nichts anderes zu tun, als uns zu verdächtigen, die Eltern, die ihr Kind
verloren haben? Wäre das die einfachste Lösung für Sie?«
»Wir suchen
keine einfache Lösung, wir wollen herausfinden, wer das Mädchen getötet hat. Und
wir stellen nicht nur Ihnen Fragen, aber Ihnen auch. – Haben Sie übrigens Ihre Mutter
gestern Vormittag hier gesehen?«
»Meine Mutter?
Was hat denn sie damit zu tun? Sie war nicht hier, schon länger nicht.«
»Eine Nachbarin
will sie gesehen haben. Wir würden das gern noch Ihre Frau fragen.«
»Warten
Sie einen Moment.« Der Mann ging hinaus.
Nach einigen
Minuten kamen sie beide. Nadine Attinger war angezogen, flüchtig gekämmt, sehr bleich.
Ihre Augen waren verschwollen und gerötet.
»Nein, Greta
war gestern nicht hier«, sagte sie. »Sie war – es gab bei ihrem letzten Besuch einen
Streit. Wir
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