Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
aus seinem
Wagen gehoben und in den Bach geworfen hatte.
Zita Elmer
klingelte bei Kösch. Eine ältere Frau in einer Haushaltsschürze öffnete ihr. »Ach,
die Polizei«, rief sie. »Ist es nicht schrecklich, was da gestern passiert ist?«
Ihr Gesicht drückte eine Mischung von Mitleid und Faszination aus. Sie warf einen
Blick das Treppenhaus hinunter. »Kommen Sie doch am besten herein.« Sie öffnete
die Tür weit. Das wird seine Zeit dauern, dachte Zita. Hoffentlich weiß sie wenigstens
etwas. Sie war der Typ alte Frau, die immer Bescheid wusste über das, was in der
Nachbarschaft geschah. Auch Frau Kösch war offenbar ganz auf einen längeren Besuch
eingestellt. Sie bot Kaffee, Tee, Kekse an, was Elmer alles höflich ablehnte. Schließlich
saß sie der Frau bei einem Glas Wasser gegenüber.
Bevor sie
zur ersten Frage ansetzen konnte, redete Frau Kösch schon los. Dass sie schon seit
dreißig Jahren in diesem Haus wohnte. Dass ihr Mann seit, »warten Sie«, zwölf Jahren
tot war. Dass sie in diesem Haus viele Nachbarn hatte kommen und gehen sehen. Was
für eine nette Familie die Attingers doch gewesen seien. Elmer öffnete den Mund,
um einzuhaken, blieb aber chancenlos. Wie herzig das kleine Mädchen, das Lotti,
sei. Aber jetzt …, Frau Kösch wiegte bedauernd den grauen Kopf.
Elmer nutzte
die Gelegenheit. »Haben Sie gestern etwas gesehen, Frau Kösch, was uns weiterhelfen
könnte? War vielleicht ein Fremder am Vormittag im Garten?«
Aber Frau
Kösch war noch nicht so weit. Sie lehnte sich behaglich in ihrem Sessel zurück.
»Es war ja so traurig mit diesem zweiten Kindlein«, erzählte sie. »So ein missgestaltetes.
Das haben die Attingers also nicht verdient. Obwohl«, sie machte eine kleine Pause,
»der Herrgott wird schon wissen, warum er ihnen eine solche Prüfung auferlegt hat,
meinen Sie nicht? Man weiß ja nie alles von den Leuten. Jedenfalls war es vorbei
mit dem Glück. Die kleine Lotti hat man nicht mehr lachen gehört. Und die Frau war
immer so ernst, fast unfreundlich. Dabei habe ich ihnen ja nichts zuleide getan.
Ob sie vielleicht erleichtert sind, dass es gestorben ist?«
Nun reichte
es Elmer, sie wiederholte ihre Frage. »Ist Ihnen gestern Vormittag irgendetwas aufgefallen?
»Eigentlich
nicht«, musste Frau Kösch zugeben, obwohl man ihr ansah, dass sie fürs Leben gern
mit etwas Interessantem aufgewartet hätte. »Außer dass Frau Attinger Besuch hatte.«
»Besuch?«,
hakte Zita nach.
»Na ja,
die alte Frau Attinger war doch da, die Mutter vom Herrn Attinger.«
Das war
Elmer neu. »Sie haben sie mit Frau Attinger gesehen?«
»Nein, ich
sah sie bloß weggehen, da vorn in die Straße einbiegen, die zur Tramhaltestelle
führt.«
»Und Sie
haben sie eindeutig erkannt?«
»Na ja,
schon, oft war sie nicht da, aber ich habe sie gekannt. Sie ist groß und geht sehr
aufrecht und sicher, obwohl sie recht alt ist. Sie ist immer gut angezogen und frisiert,
richtig vornehm. Wahrscheinlich ist sie reich. – Seit das zweite Kind da war, war
sie nur ein einziges Mal hier«, fügte sie hinzu, »und ich hörte damals zufällig,
wie Herr Attinger sie hinauswarf.«
Nadine Attinger
hatte nichts erwähnt von einem Besuch ihrer Schwiegermutter. Zita Elmer stellte
noch ein, zwei weitere Fragen, aber sie war nicht mehr ganz bei der Sache. Sie gab
der Frau ihre Karte und verabschiedete sich. Das Glas Wasser stand unberührt auf
dem Tischchen.
Zur selben Zeit saß Streiff in der
Küche von Frau Kugler, einer Frau von etwa Mitte vierzig. Auch sie war gestern Morgen
zu Hause gewesen. Sie arbeitete in einem Lebensmittelgeschäft im Quartier und hatte
diese Woche Nachmittagsschicht.
»Vorne auf
dem Weg kommen natürlich immer Leute vorbei. Manche kenne ich, Mütter mit ihren
Kindern, die in der Umgebung wohnen, oder Leute mit ihrem Hund. Aber es hat auch
viele, die ich nicht kenne, ich achte nicht darauf.«
Aber direkt
beim Haus hatte sie keine fremde Person bemerkt. Der Briefträger war gekommen, und
ungefähr um halb zehn hatte sie Stefan Attingers Auto an der Straße vorn gesehen.
Sie hatte sich nichts dabei gedacht. »Wahrscheinlich hatte er etwas vergessen.«
Aber Streiff hielt kurz den Atem an. Attinger war gestern Morgen zu Hause gewesen?
Kurze Zeit, bevor das Baby verschwunden war? Warum hatte er das nicht gesagt? Was
hatte er gewollt? Streiff ließ sich nichts anmerken. Er fragte die Frau nach ihrem
Eindruck von der Familie.
»Eine ganz
normale Familie«, sagte sie, »eher traditionell. Sie hat
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